Mit Lawrence Meinig habe ich für den Forschungspodcast der Johannes Gutenberg-Universität über wehrhafte Demokratie, Rechtsextremismus, Islamismus und die Polizei gesprochen. Die Episode kann man sich direkt hier anhören oder unten im Transkript nachlesen
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Einleitung
Lawrence Meinig Demokratie bedeutet Vielfalt, Offenheit und auch Meinungsverschiedenheit. Doch was passiert, wenn aus Kritik an der Demokratie ein Angriff auf ihre Grundwerte wird? Wenn rechtspopulistische Parolen die politische Debatte verschieben und rechtsextreme Netzwerke gezielt Vertrauen in Institutionen untergraben?
In dieser Folge fragen wir uns, wie wehrhaft ist unsere Demokratie wirklich? Und was muss sie tun oder lassen, sich gegen diejenigen zu schützen, die sie von innen aushöhlen wollen? Wir sprechen über die feinen Linien zwischen Meinung und Menschenfeindlichkeit, über Extremismus, Populismus, Islamismus und darüber, warum Demokratie nicht nur tolerant, sondern manchmal auch entschlossen sein muss. Insbesondere, wenn Grundrechte oder unsere Verfassung missachtet werden.
Mein Gast in dieser Folge ist Professor Kai Arzheimer. Er ist Professor für deutsche Innenpolitik und politische Soziologie am Institut für Politikwissenschaft der JGU. In seiner Forschung beschäftigt er sich vor allem mit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Deutschland und Westeuropa, Wahl- und Parteienforschung sowie der sogenannten Politikverdrossenheit.
Professor Arzheimer, wir möchten heute anhand Ihrer Forschung herausfinden, wie demokratische Werte geschwächt werden und wie unsere Demokratie darauf reagieren kann oder auch sollte. Würden Sie sagen, dass Demokratie an sich bereits anfällig für solche Angriffe ist, weil ihre Werte so vielseitig sind?
Kai Arzheimer Ja, das ist eine interessante Frage.
Also Demokratien sind von ihrem Design her, von ihrem Selbstanspruch her natürlich offene Systeme, anders als Autokratien, also Diktaturen, absolute Monarchien. Dort braucht man keine pluralistische Gesellschaft.
In der Demokratie gehört das dazu und das führt natürlich in ein Spannungsfeld hinein, wo eben auch antidemokratische Akteure diese Möglichkeiten und diese Bühne nutzen können und es auch undemokratisch wäre, von vornherein jetzt alle Meinungsäußerungen, die man irgendwie problematisch findet, zu unterdrücken.
LM Also würden Sie auf jeden Fall bejahen.
KA Auf der einen Seite ist sie anfälliger als System, auf der anderen Seite hofft man natürlich, dass die demokratischen Werte bei den Bürgerinnen und Bürgern so fest verankert sind, dass man damit auch umgehen kann.
LM Ein gemeinsames Schaffen von Demokratie.
KA Genau, so ist das ja.
Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus
LM Sie forschen auch zu Einflüssen, die rechtsextreme und populistische Politik begünstigen. Können Sie uns die wichtigsten dieser Einflüsse aufzählen?
KA Ich glaube, ganz am Anfang steht etwas, worüber man gar nicht groß nachdenkt, nämlich das Nachlassen von traditionellen Bindungen an große gesellschaftliche Organisationen wie die Gewerkschaften und die Kirchen und die Parteien, die mit diesen Organisationen über Jahrzehnte zusammengearbeitet haben, also sozialdemokratische, christdemokratische, konservative Parteien.
Dadurch, dass der Einfluss dieser Organisationen in der Gesellschaft schwindet, die Mitgliedszahlen sinken, ist es so, dass das Feld einfach größer wird, in das neue Akteure hineingehen können und manche diese Akteure sind eben, wie Sie es schon angeteasert haben, rechtsradikal, rechtsextrem, rechtspopulistisch, was genau das bedeutet, ist dann nochmal eine andere Geschichte.
Also es gibt einfach strukturell jetzt mehr Möglichkeiten für neue Akteure. Und auf der anderen Seite ist es so, dass wir erheblichen sozialen und politischen Wandel haben in allen europäischen Gesellschaften. Wir haben sehr, sehr große Zuwanderungsbewegungen gehabt in den letzten 40, 50 Jahren. Wir haben aber auch mehr Rechte bekommen für früher marginalisierte Gruppen, außer den Zugewanderten. Dazu gehören zum Beispiel Homosexuelle, aber auch Menschen, die in allen anderen Dimensionen, die man sich so vorstellen kann, vielleicht von der Norm abweichen.
Ganz viel von dieser Mobilisierung am rechten Rand, die wir jetzt sehen, kann man verstehen als eine Gegenbewegung gegen diesen gesellschaftlichen Wandel, gegen offene Grenzen, teilweise auch gegen wirtschaftliche Globalisierung vielleicht. Das zusammengenommen erklärt, warum sich eigentlich alle Demokratien in Europa, aber auch in Nordamerika jetzt mit diesen Akteuren auseinandersetzen müssen.
LM Würden Sie sagen, dass die Welt einfach komplexer geworden ist politisch?
KA Ja, also die Welt ist mit Sicherheit komplexer, als sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den 50er und 60er Jahren war. Wir sehen eigentlich seit Ende der 60er Jahre die sogenannten neuen sozialen Bewegungen, also Friedensbewegungen, Umweltbewegungen, aber auch homosexuellen Bewegungen zum Beispiel, die angefangen haben, unsere Gesellschaften zu verändern, was sich dann niedergeschlagen hat im Parteien-System durch den Aufstieg von Grünen oder manchmal nennt man die auch linkslibertären Parteien in ganz vielen Ländern Europas.
Und mit einer kleinen Zeitversetzung oder -verschiebung seit den 80er, 90er Jahren dann eben diese neuen rechten Parteien, die man verstehen kann, so als nochmal eine Gegenbewegung zu dem, was in den Dekaden vorher passiert ist.
LM Ich habe das oft so empfunden, dass gerne gerade in den Medien dann auch Bezug zur bisherigen Geschichte genommen wird, dass dazu bisherigen politischen Ereignissen Bezug genommen wird. Aber wenn Sie das jetzt so schildern, ist das vielleicht gar nicht so leicht, das mit vergangener Geschichte zu vergleichen, weil wir jetzt eine andere und wie Sie sagen, komplexere Situation haben.
KA Auch das ist eine interessante Frage, ob man es mit der vergangenen Geschichte, der Nachkriegsgeschichte vergleichen kann. Viele von diesen Parteien sind tatsächlich relativ neu. Ich sagte eben schon, die tauchen auf, die alle ersten so in den 80er, 90er Jahren.
Und viele von denen grenzen sich eben ab vom alten Rechtsextremismus, zumindest was Sprache, was Symbole angeht, auch was das Personal angeht. Beispiele, die mir da einfallen, die PVV in den Niederlanden, also die Freiheitspartei, ist gegründet worden, wenn ich es richtig im Kopf habe, Anfang der 2000er Jahre.
Das ist wirklich eine neue Partei und Geert Wilders, der Parteiführer, hat von Anfang an großen Wert darauf gelegt, dass er kein Antisemit ist, was eben ganz typisch gewesen wäre so für die alten Rechtsaußenparteien, legt großen Wert auf seine guten Beziehungen zu Israel. Aber auf der anderen Seite gibt es gerade im deutschen Sprachraum natürlich immer die Frage, wie man sich verhält zum Nationalsozialismus, zum klassischen Rechtsextremismus.
Und sowohl in Deutschland als auch in Österreich finden solche Akteure das schwierig, um es höflich auszudrücken, sich klar abzugrenzen und auch den Zustrom von klassischen Rechtsextremisten in diese Parteien einigermaßen zu regulieren.
Regionale Unterschiede
LM Wir gehen in ein anderes Forschungsfeld, in dem Sie schon gearbeitet haben. Sie haben geografische Cluster identifiziert, an denen Rechtsextreme und populistische Politik besonders erfolgreich ist. Also Orte, wo besonders viel rechts gewählt wird. Welchen Einfluss kann denn der Wohnort auf das Wahlverhalten haben?
KA Also erstmal muss man sagen, der Einfluss ist relativ gering. Es ist nicht so, dass man sagen kann, diese Region ist komplett dominiert von der einen oder anderen politischen Richtung, sondern am Ende des Tages sind es natürlich individuelle Einstellungen und individuelle Wahlentscheidungen. Aber es gibt durchaus regionale Unterschiede.
Wir haben da auch alle bestimmte Bilder im Kopf und wir sehen ja auch bei jeder Wahl dann diese Landkarten, wo man sehen kann, da ist besonders viel Union gewählt worden, da ist besonders viel AfD gewählt worden, da ist vielleicht noch eine SPD Hochburg.
Wenn man verstehen möchte, warum das so ist, ist vielleicht der wichtigste Effekt etwas, woran man nicht unbedingt denkt, nämlich dass sich bestimmte Personengruppen ungleichmäßig verteilen in Deutschland. Das heißt, wir wissen, dass Rechtsaußenparteien stärker von Männern gewählt werden als von Frauen, dass sie vor allen Dingen von Personen, sagen wir mal, aus der unteren Mittelschicht und der Arbeiterschicht gewählt werden, dass sie generell häufiger gewählt werden von Personen mit niedrigen oder mittleren Bildungsabschlüssen und die verteilen sich eben nicht gleichmäßig über Deutschland, sondern es hat gerade nach der Wiedervereinigung große Wanderungsbewegungen gegeben aus dem ländlichen Raum in die Städte und vom Osten nach Westen. Und ein größerer Teil dieser geografischen Muster, die wir sehen auf der Karte und die wir dann auch gefunden haben auf unseren Einstellungskarten, kann man einfach dadurch erklären, dass bestimmte Personen mit bestimmten sozio-demografischen Eigenschaften eher in einer Region wohnen als in der anderen.
Der zweite wichtige Faktor ist, das, was wir in dem Artikel, auf den Sie ansprechen, Place Resentment genannt haben. Also ich weiß gar nicht, ob man das gut übersetzen kann. Es ist eine Emotion, die verbunden ist mit dem eigenen Wohnort und dem Gefühl, dass man da irgendwie abgehängt worden ist, dass die eigene Region nicht das an Ressourcen und vor allen Dingen auch an soziale Anerkennung bekommt, was ihr eigentlich zusteht.
Und auch dieses Place Resentment hängt stark mit individuellen Eigenschaften zusammen, aber natürlich auch damit, dass manche Regionen eben einfach eher am Rand sind. Also teilweise im ganz wirklichen Sinne, wenn Sie jetzt auf Ostdeutschland schauen, das Erzgebirge oder auch Brandenburg, die Grenze zu Polen, das ist buchstäblich der Rand von Deutschland.
Und teilweise ist da eben dann auch das politische Zentrum, aber auch die ganze Infrastruktur weiter weg, als wenn Sie jetzt auf die großen Städte schauen. Also dieses Places Resentment, das spielt da auch noch eine Rolle.
Und was eine relativ geringe Rolle spielt, erstaunlicherweise, sind dann so objektive Deprivationsindikatoren, die haben wir uns auch angeschaut. Die Versorgung zum Beispiel mit öffentlicher Infrastruktur, aber auch so was ganz Handfestes wie die Lebenserwartung. Das hat kleine Effekte auf diese Einstellung, aber es sind eben nur sehr kleine Effekte, weil auch die die Unterschiede, die man irgendwie objektivieren kann in Deutschland, nicht wahnsinnig groß sind, verglichen mit anderen europäischen Ländern.
Wir haben sehr starke Systeme, die die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen in Deutschland herstellen sollen. Und das funktioniert im Großen und Ganzen auch ziemlich gut. Aber die gefühlte Benachteiligung, das ist eigentlich der entscheidende Faktor.
Polizeiforschung
LM Wir gehen noch mal weiter. Ihr Feld an Forschung ist sehr breit. Sie sind zusätzlich außerdem noch Teil des Konsortiums der Polizeistudie Insider in Rheinland-Pfalz. Dort untersuchen Sie, ob und wie die Polizei demokratische Werte, Prozesse und Institutionen unterstützt. Welche Ergebnisse hatten Sie bisher in dieser Forschung?
KA Unser Hauptergebnis ist tatsächlich, dass die rheinland-pfälzische Polizei schon resilient ist auf der Ebene der Prozesse. Aber wir haben uns natürlich primär Werte angeschaut. Also ich habe das zusammen gemacht mit Kollegen aus der Arbeitspsychologie in Trier und aus der Allgemeinen Soziologie in Trier. Und dann gab es so eine Arbeitsteilung.
Und wir hier in Mainz haben vor allen Dingen auf demokratische Einstellungen geschaut und festgestellt, dass liberale demokratische Einstellungen sehr fest verankert sind in der rheinland-pfälzischen Polizei. Wir haben auch festgestellt, dass es eine sehr starke Ablehnung gibt von klassisch antisemitisch rechtsextremen Aussagen. Das fand man natürlich auch sehr positiv dieses Ergebnis.
Wir haben allerdings auch gesehen, dass es erkennbare Vorbehalte gibt bei vielen Polizeiangehörigen gegenüber Muslimen und Zugewanderten. Und das ist was, wo wir der Polizeiführung und dem Innenminister auch gesagt haben, das ist jetzt so eine Art Hausaufgabe oder eine Empfehlung, würde ich besser sagen, die wir euch mitgeben, dass ihr euch das genauer anschaut und überlegt, mit welchen Maßnahmen man diese Spannung, die es dort gibt, reduzieren kann.
LM Neben Rheinland-Pfalz wurde 2024 auch eine Polizeistudie für ganz Deutschland veröffentlicht, an der alle Bundesländer teilgenommen haben. Hier wurden bundesweit Motivationen, Einstellungen und Gewalterfahrungen im Alltag von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten untersucht. Bei Befragungen zu Einstellungen zu Demokratie und politischen Systemen haben meist über 75 Prozent der Befragten diese positiv bewertet. Darüber hinaus verortet sich ein Großteil selbst in der politischen Mitte. Mit jeweils unter 3 Prozent positionierte sich ein sehr geringer Anteil der Befragten im extrem rechten oder extrem linken politischen Lager.
Demokratieskeptische und politisch extreme Einstellungen sind demnach nur schwach ausgeprägt, müssen laut der Studie aber genau beobachtet werden. 30 Prozent der Teilnehmenden haben innerhalb eines Jahres rassistische Aussagen von KollegInnen erlebt. Bei sexistischen Aussagen lag dieser Anteil noch höher. Hier waren es 40 Prozent. Eine ambivalente oder ablehnende Haltung gegenüber asylsuchenden Personen äußerten über 70 Prozent der Befragten.
Wie kann ich mir das als Außenstehender vorstellen, wie Sie da dieser Forschung vorgegangen sind, also mit welchen Daten haben Sie da gearbeitet?
KA Also für das politikwissenschaftliche Teilprojekt haben wir eine große standardisierte computergestützte Befragung gemacht.
Das heißt, wir haben ganz klassisch einen Fragebogen programmiert, in dem viele Instrumente drin waren, die wir auch in allgemeinen Bevölkerungsumfragen einsetzen, weil es für uns eben auch interessant war, Polizeiangehörige und Bevölkerung zu vergleichen. Denn wir wollten sicher sein, dass die Polizeiangehörigen auch ihre Meinung äußern können, ohne irgendwie negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Das heißt, wir brauchten eine glaubwürdige Anonymitätszusage.
Da sind wir 2022 zum ersten Mal ins Feld gegangen und haben es geschafft in Zusammenarbeit mit der Polizeiführung, aber auch mit den Polizeigewerkschaften, dass tatsächlich ungefähr die Hälfte der Polizeiangehörigen sich beteiligt hat. Und das ist eine wahnsinnig hohe Zahl.
Es gab ja kurz danach die bundesweite Polizeistudie. Die waren bei unter 10 Prozent Teilnehmerquote.
LM Ich denke jetzt gleich daran, wenn das eine Selbstauskunft ist, natürlich auch die Gefahr, dass Menschen da sich nicht ganz offen äußern.
Haben Sie da vielleicht mit Sachen gearbeitet, die tatsächlich passiert sind, sich vielleicht Fälle angesehen, wo der Polizei vorgeworfen wird, dass sie falsch vorgegangen ist?
KA Das ist eine völlig berechtigte Frage. Ich würde es gerne in zwei Teilen beantworten.
Also erstens, Sie haben völlig recht, es haben nicht alle teilgenommen. Man kann sich natürlich vorstellen, dass Leute, die denken, meine Ansichten sind vielleicht nicht populär oder nicht erwünscht von vornherein, sich nicht beteiligt haben. Und man kann sich auch vorstellen, dass in manchen Fällen vielleicht nicht ganz ehrlich geantwortet wurde, weil auch Polizeiangehörige natürlich wissen, es war ja zu Zeiten von George Floyd und solchen Ereignissen, die Polizei steht unter einer gewissen gesellschaftlichen Beobachtung. Das ist das eine.
Das andere ist aber, dass wir anders als viele Bevölkerungsumfragen eben computergestützt befragt haben mit dieser sehr starken Anonymität Zusage. Und wir wissen schon, dass Leute ehrlicher antworten, wenn sie einfach vor einem Bildschirm sitzen, als wenn ihnen eine Interviewerin oder ein Interviewer gegenüber sitzt.
Das Zweite ist. Unser Teilprojekt war also diese standardisierte, quantitative Befragung, aber wir hatten ja noch andere Teilprojekte und in diesen Teilprojekten sind die Kolleginnen und Kollegen stärker qualitativ vorgegangen und vor allen Dingen der Kollege Martin Endress und seine Mitarbeiterin aus der Allgemeinen Soziologie sind bei unglaublich vielen Einsätzen tatsächlich mitgefahren.
Natürlich ist es so, dass das erst einmal Externe sind, aber die Forschungspraxis zeigt eigentlich, dass das nach einer halben Stunde, einer dreiviertel Stunde vergessen ist, dass die beiden, die hinten mit im Streifenwagen sitzen, eigentlich keine Uniform tragen, nicht direkt zur Polizei gehören.
Und die waren auch bei großen Einsatzlagen dabei, also bei Fußballspielen, aber auch bei Nachtstreifen an ganz vielen verschiedenen Orten in Rheinland-Pfalz und haben versucht, die Mentalität zu verstehen, die in der Polizei vorherrscht. Und das ist, glaube ich, eine sehr gute Ergänzung zu den Daten, die wir erhoben haben. Weitergehend wollte ich jetzt noch darauf zu sprechen kommen, es gibt ja mehrere Strömungen, die demokratische Werte untergraben können.
Andere Gefahren für die Demokratie: Linksextremismus, Islamismus, Reichsbürgerbewegung
LM Neben Ihrem Forschungsschwerpunkt, dem Rechtsextremismus und Populismus, gibt es ja auch Linksextremismus, es gibt Islamismus oder auch die Reichsbürgerbewegung. Was hebt gerade den Rechtsextremismus so stark hervor?
KA Der Rechtsextremismus oder auch Rechtsradikalismus, also ich glaube, man muss wirklich genau hinschauen.
Extremismus würde man eher sagen, ist offen antidemokratisch, möchte Demokratie ersetzen durch ein nicht-demokratisches System und gibt das auch zu. Rechtsradikalismus richtet sich gegen Teilelemente der liberalen Demokratie, also vor allen Dingen Minderheitenschutz, aber auch alles, was so unter Deliberation gefasst wird, Gerichte, Parlamente und so. Das ist schlimm genug.
Aber der Rechtsextremismus und der Rechtsradikalismus generieren einfach mehr Unterstützung als andere Formen politischen Denkens, die sich gegen die Demokratie richten in unserer Gesellschaft. Das muss man klar sagen. Es ist eher ein Massenphänomen. Es hat auch politische Repräsentanz durch entsprechende Parteien. Und das macht es so, so schwierig und auch so gefährlich, denke ich.
Weil Sie die Reichsbürger ansprechen, ist ganz interessant, die werden momentan von den Verfassungsschutzbehörden noch als eigener politischer Phänomenbereich betrachtet. Aber die Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus sind natürlich enorm groß.Also es ist ein bisschen zisilisiert, dass man sagt, das ist jetzt eine ganz andere Weltanschauung als klassischer Rechtsextremismus. Auf der einen Seite stimmt es, wenn man sich das ganz genau anschaut, aber die Strukturen sind sehr ähnlich. Die personellen Überschneidungen sind sehr groß. Und auch die politischen Ziele sind da ganz ähnlich, sodass ich sagen würde, Reichsbürgerszene, Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus zusammengenommen sind einfach aktuell die größten Gefahren für die Demokratie in Deutschland.
LM Gerade in der Vergangenheit war die Angst vor Islamismus ja extrem groß. Warum ist der dann weniger gefährlich vielleicht als Rechtsextremismus?
KA Also ich könnte das ganz platt sagen und könnte sagen, es sitzt keine islamistische Partei im Parlament. Es hat keine islamistische Partei in den Talkshows dieser Republik, irgendetwas zum Besten zu geben.
Das heißt nicht, dass Islamismus irgendwie unproblematisch oder ungefährlich ist. Aber es hat nicht diese enorme Resonanz, die der Rechtsextremismus in der Gesellschaft hat. Auf der anderen Seite muss man natürlich aufpassen, dass man da keine blinden Flecken entwickelt.
Und natürlich steht unter öffentlicher Beobachtung momentan vor allen Dingen der Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus und die Reichsbürger, was nicht bedeuten kann, dass man sich eben andere Formen des Extremismus nicht genau betrachten müsste, jetzt auch aus dem journalistischen Bereich, auch aus den öffentlichen Debatten heraus.
LM Einer Ihrer ganz wichtigen Forschungsschwerpunkte ist ja, wie wir schon erwähnt haben, die wehrhafte Demokratie. Müssen wir uns kollektiv vielleicht bestimmte Grundsätze mehr zu Herzen nehmen, um eine wehrhafte Demokratie zu schaffen?
KA Ja, auf jeden Fall. Also es gibt in der Bevölkerung, aber auch in Teilen der Politik ja die Vorstellung, Demokratie heißt, jeder darf alles sagen, darf mit jedem Programm antreten, und solange es dafür irgendwie Mehrheiten gibt, ist das auch demokratisch. Und das ist eine sehr verkürzte Vorstellung von Demokratie.
Also klar, Mehrheitsentscheidungen sind zentral für Demokratien, aber zumindest in der Vorstellung des Grundgesetzes und eigentlich aller westlichen Demokratien, sag ich mal, gehört noch mehr dazu.
Das ist die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenwürde, der Schutz von Minderheitenrechten, auch so was ganz Banales wie, dass man eben prozedural vorgeht. Also dass nicht eine Person, egal mit welcher Mehrheit die gewählt ist, einfach beschließen kann, das und das wird jetzt gemacht, sondern dass es eine Gewaltenteilung gibt, dass es Parlamente gibt, dass es Gerichte gibt, die auch politische Entscheidungen überprüfen können nach dem Maßstab der Gesetze und der Verfassung.
Und diese Idee noch stärker in die Bevölkerung zu tragen, das wäre, glaube ich, schon mal das eine, was wirklich wichtig wäre. Und zum anderen kann man dann natürlich auch spezifisch mal daran erinnern, was es eben an Instrumenten der wehrhaften Demokratie im Grundgesetz gibt. Und das ist eben mehr als das Parteienverbot. Das ist ganz, ganz banal, auch die Rechtsstaatlichkeit, die mir als Bürgerin, als Bürger garantiert, dass ich nicht diskriminiert werden darf, dass es auch keine Hetzjagden auch im Internet geben darf auf Einzelpersonen, auf individuelle Bürgerinnen und Bürger, weil auch das schon undemokratisch ist, wenn Einzelne zum Opfer von solchen politischen Kampagnen werden.
LM Bei meiner Recherche ist mir aufgefallen, dass Sie auch ein Zitat gerne verwenden bei diesem Thema: “Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.”
Was bedeutet das für Sie?
KA Das ist das berühmte Böckenförde-Diktum. Der frühere Verfassungsrichter hat das, ich weiß gar nicht vor wie vielen Jahrzehnten, muss man inzwischen sagen, geschrieben. Er dachte dabei, glaube ich, spezifisch an die Bedeutung der Kirchen, auch im säkularen Staat, aber man kann das viel weiter fassen.
Und so verstehe ich das auch, nämlich dass Demokratie ohne Zivilgesellschaft eigentlich nicht funktionieren kann. Also klar bei Demokratie denken wir alle an demokratische Institutionen. Wir denken vielleicht auch an individuelle Bürgerinnen und Bürger.
Aber es ist auch ganz wichtig, sich daran zu erinnern, dass eben demokratische Werte, demokratische Praxis eingeübt wird, auch in Vereinen, in allen möglichen anderen Zusammenschlüssen und dass diese Zusammenschlüsse auch jenseits der Parteien, an die man vielleicht noch denkt, enorm wichtig sind in jeder pluralistischen Demokratie, weil das eigentlich das Blut der Demokratie ist, um es bisschen pathetisch auszudrücken, das da durch den politischen Körper strömt.
LM Würden Sie dann auch sagen, wie man das ja so kennt, diesen Ausdruck von Demokratie ist nicht einfach da, Demokratie müssen wir gemeinsam erbauen und erkämpfen.
KA Ja, das würde ich sofort unterschreiben, wobei ich immer sagen würde, das klingt jetzt so, wie Sie es gerade formuliert haben, so nach Sonntagsreden und vor allen Dingen auch so, als ob das was unglaublich Mühsames wäre, jetzt so eine Pflicht, die wir erfüllen müssen. Und ich glaube, wir sind in Deutschland auch immer gerne so ein bisschen sehr ernsthaft.
Es macht ja auch Spaß. Also auch die Zivilgesellschaft, die lebt ja davon, dass Leute da gerne hingehen. Nicht nur weil sie denken, das ist jetzt mal eine demokratische Pflicht und es gehört zum Bild der guten Bürgerin oder des guten Bürgers, dass man sich irgendwie engagiert.
Also oft hat man ja auch tatsächlich Freude dran, geht da vielleicht auch mit Freundinnen und Freunden hin und muss vielleicht auch gar nicht drüber nachdenken, dass man da jetzt was Wichtiges für die Demokratie tut.
LM Zum Ende interessiert mich jetzt noch Ihre eigene Einstellung zu dem Thema, denn es ist ein sehr wichtiger Lebensinhalt von Ihnen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, immer wieder sich damit zu konfrontieren. Da interessiert mich natürlich, haben Sie selbst den Eindruck, dass Ihre Forschung einen positiven Beitrag zu den politischen Entwicklungen in unserem Land leistet?
KA Ich würde ein bisschen anders anfangen, glaube ich, als ich angefangen habe, mich mit diesen Themen zu beschäftigen in den 90er Jahren, war auch in der deutschen Politik nicht alles unkompliziert, aber diese Rechtsaußenparteien waren schon ein Randphänomen. Man hatte damals eher ein Problem mit rechter Straßengewalt, so bewegungsförmiger Rechte, aber im Parteien-System spielte das jetzt nicht so eine große Rolle und das erklärt auch so ein bisschen, dass ich angefangen habe mich für andere Länder in Europa zu interessieren. Also Italien, Frankreich zum Beispiel, wo diese Entwicklungen einfach schon weiter fortgeschritten waren.
In den letzten 20 Jahren, 15 Jahren habe ich erlebt, dass meine Forschung für mich persönlich zumindest auch in Deutschland relevanter geworden ist, das war für mich nicht unbedingt eine positive Erfahrung. Also ich hätte mich gerne eher mit Spartenphänomenen als mit Dingen beschäftigt, die jeden Tag in der Tagesschau auftauchen. Das ist so das eine.
Von daher würde ich sagen, ja, es ist relevanter geworden, aber ich habe ein ambivalentes Gefühl dabei. Und es ist auch nicht so, dass die Erkenntnisse, die wir in der Forschung produzieren, jetzt unbedingt mit offenen Armen in der Politik aufgenommen werden. Also ganz viele Menschen in dem Bereich, in dem ich arbeite, machen in der einen oder anderen Form Politikberatungen.
Wir gehen zu öffentlichen Veranstaltungen, aber wir gehen auch zu Veranstaltungen, die von Parteien organisiert werden, wo man sich das alles anhört, was wir zu sagen haben. Aber trotzdem habe ich manchmal den Eindruck, in Deutschland muss jede Partei ihre eigenen Fehler machen, die lernen nicht aus dem, was im Ausland passiert ist.
Ich hatte ja vorhin schon mal kurz über Frankreich gesprochen und das Verschwinden im Grunde genommen der Mitte-Rechtsparteien, aber auch der Sozialisten, Sozialdemokraten. Das können Sie deutschen Politikern erzählen. Sie können versuchen, denen die Mechanismen dahinter zu erklären. Die lächeln Sie an und sagen, wir müssen die AfD politisch stellen.
LM Professor Arzheimer, vielen Dank für Ihre spannenden Antworten und dass Sie uns an Ihrer Forschung teilhaben lassen.
KA Sehr gerne, vielen Dank für die Einladung.
LM Das war mein Gespräch mit Professor Kai Arzheimer. Ich wollte herausfinden, was eine wehrhafte Demokratie ausmacht und wie wir hier in Deutschland diesbezüglich dastehen. Im internationalen Vergleich haben wir eine gute Position. Einerseits durch unser diverses politisches System, in dem verschiedene Haltungen abgebildet werden. Andererseits durch politische Institutionen, welche die Macht im Staat verteilen und sich selbst überprüfen.
Die Polizeistudie Insider, die Professor Arzheimer mitgestaltet hat, ist ein gutes Beispiel für weitere Institutionen wie der Wissenschaft und dem Journalismus, die den Staat überprüfen und ihre Ergebnisse öffentlich machen können.
Wie uns Professor Arzheimer eindrücklich erklärt hat, muss dieses System aber auch durch jeden einzelnen von uns getragen und unterstützt werden. Eine wehrhafte Demokratie kann nicht allein durch den Staat garantiert werden, sie ist das Produkt einer ganzen Gesellschaft und jedes einzelnen.
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