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Kai Arzheimer / Cornelia Weins
Erschienen in: ZParl (28), 1997, S. 203-215.
Rheinland-Pfalz: Zerfallen die sozialstrukturellen Bindungen an die Union?
Dem Ausgang der Landtagswahl 1996 sahen Medien, Öffentlichkeit und Politik mit besonderer Spannung entgegen. Bei der vorangegangenen Wahl im Jahre 1991 war es der rheinland-pfälzischen SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Rudolf Scharping erstmals seit der Gründung des Landes gelungen, die CDU-Regierung abzulösen. Vor diesem Machtwechsel wurde Rheinland-Pfalz als ein Stammland der Christdemokraten betrachtet; zwischen 1947 und 1991 stellten diese den Ministerpräsidenten und immerhin 16 Jahre (von 1971 bis 1987) regierte die Union mit absoluter Mehrheit. Diese Kontinuität wurde allgemein auf die agrarische und im Norden überwiegend katholisch geprägte Struktur des Landes zurückgeführt. Insbesondere im Moseltal und in der Eifel habe die Unterstützung der CDU als Nachfolgepartei des Zentrums den Charakter einer sozialen Norm behalten.
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Um so erstaunlicher war der Sieg der Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 1991. Zwar hatte die CDU bereits 1987 hohe Verluste verzeichnen müssen; diese schlugen sich jedoch nicht zugunsten der Sozialdemokraten nieder. 1991 profitierte die SPD dagegen vor allem von der Führungskrise innerhalb der Union, die ihren deutlichsten Ausdruck in der sogenannten Tandem-Lösung", d.h. zwei Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, fand, sowie von ihrem Spitzenkandidaten Scharping, der eine Öffnung seiner Partei gegenüber dem Mittelstand und vor allem den Landwirten und Winzern, der angestammten Klientel der Union also, anstrebte.
Der Ausgang der Landtagswahl 1996 konnte angesichts dieser Entwicklung mit Spannung erwartet werden: Entweder waren die spektakulären CDU-Verluste von 1991 lediglich das Resultat der besonderen, kurzfristig wirksamen Rahmenbedingungen dieser Wahl, also des personellen und programmatischen Angebots der CDU. In diesem Fall hätte man aufgrund der sozialstrukturell vermittelten Bindungen der CDU-Anhänger an ihre Partei erwarten können, daß die politischen Verhältnisse in Rheinland-Pfalz nach einem sozial-liberalen Intermezzo gewissermaßen zur Normalität" zurückkehren würden. Oder der Regierungswechsel 1991 war Folge einer Abnahme der Bindung bestimmter sozialer Gruppen an die Christdemokraten, die sich seit 1987 abzeichnet und durch die personellen Debatten innerhalb der CDU lediglich verstärkt wurde. Bei dieser Interpretation hätte man den Ausgang der diesjährigen Landtagswahlen zugunsten der Sozialdemokraten viel eher erwartet.
Das tatsächliche Wahlergebnis war für die Anhänger beider Erklärungen gleichermaßen unbefriedigend: Einerseits ist es der Union auch (oder gerade) unter dem neuen Landesvorsitzenden Johannes Gerster nicht gelungen, ihr Ergebnis von 1991 zu verbessern. Sie stagnierte mit 38,7% der gültigen Stimmen exakt bei ihrem Wahlergebnis von 1991, dem schlechtesten seit Gründung des Landes. Andererseits vermochte es auch die SPD nicht, an ihren Erfolg bei der vorangegangenen Wahl anzuknüpfen. Sie plazierte sich denkbar knapp vor der CDU, während die schon totgesagte F.D.P. überraschend zum eigentlichen Gewinner der Wahl avancierte.
Eine Erklärung der Wahlergebnisse könnte darin bestehen, daß die Bindung traditioneller Milieus an die Union erodiert, ohne daß es einer anderen Partei gelingt, die CDU-Klientel zu übernehmen. Wir werden deshalb zunächst die Entwicklung der Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz seit 1971 (dem Beginn der CDU-Alleinregierung) nachzeichnen, um dann zu untersuchen, ob die Verankerung der CDU in ihren traditionellen sozialen Kontexten abgenommen hat.
Der Analyse liegen die Wahlergebnisse der 36 rheinland-pfälzischen Stadt- und Landkreise zugrunde. Konkret bedeutet dies, daß wir die Zusammenhänge zwischen der Struktur der 36 Kreise und den Ergebnissen der CDU in diesen Kreisen untersuchen, um festzustellen, welche Kontextfaktoren einen Wahlerfolg der CDU begünstigen beziehungsweise begünstigt haben. Die uns zur Verfügung stehenden Strukturdaten stammen aus den Volkszählungen von 1970 und 1987; die Stimmmenanteile in den Kreisen sind den veröffentlichten amtlichen Endergebnissen entnommen.
Entwicklung des Wahlverhaltens in Rheinland-Pfalz seit 1971
Betrachtet man den Anteil der CDU an den gültigen Stimmen(vgl. Abbildung 1), so stellt man seit 1975 kontinuierliche Verluste fest, die nur durch das Wahlergebnis von 1983 unterbrochen werden. Dieser Ausreißer" läßt sich durch die am gleichen Tag stattfindenden Bundestagswahlen erklären. Vor dem Hintergrund der sogenannten Wende" auf Bundesebene gelang es der Landespartei 1983 noch einmal, ihre Bataillone zu sammeln. Wie man in Abbildung 1 erkennen kann, fand bereits 1987 ein deutlicher Stimmeneinbruch" der Christdemokraten statt. Zum Machtverlust führte 1991 schließlich ein erneuter Verlust der Unon bei gleichzeitigen Gewinnen der Sozialdemokraten.
Den Sozialdemokraten wiederum gelang es nur 1991, einen deutlichen Vorsprung vor der CDU zu erzielen, während F.D.P., GRÜNE und die sonstigen Parteien" seit 1983 relativ geringe, aber stetige Zuwächse verzeichnen können.
Prozentuiert man wie in der bisherigen Darstellung die Stimmen der einzelnen Parteien auf Basis der gültigen Stimmen, so bleibt jedoch die Wahlenthaltung als eine wesentliche Möglichkeit des Wahlverhaltens unberücksichtigt. Gerade bei der Auflösung vormals verfestigter sozialer Milieus erscheint es plausibel, daß ein Wähler von einer Wahl zur nächsten nicht zu einer anderen Partei wechselt, sondern sich zunächst oder auf Dauer seiner Stimme enthält. Ein Abschmelzen der CDU müßte also nicht automatisch mit höheren Stimmenanteilen anderer Parteien einhergehen, sondern könnte auch ein Ansteigen des Nichtwähleranteils bewirken. In der Tat zeigt sich, wenn man wie in Abbildung 2 die Stimmenanteile der Parteien auf Basis der Wahlberechtigten prozentuiert, auf der Landesebene seit 1983 ein dramatisches Anwachsen des Nichtwählerlagers.
Quelle: Statistisches Landesamt Bad Ems, amtliche Endergebnisse
Der Anteil der Wahlberechtigten, die der Wahl fern blieben, wuchs im betrachteten Zeitraum um knapp 10 Prozentpunkte auf 29,2% der Wahlberechtigten, d.h. die Nichtwähler bilden 1996 erstmals die größte Gruppe unter den Wahlberechtigten. Dieser Trend wird lediglich 1983 unterbrochen, was überzeugend auf die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl zurückgeführt werden kann, da die Beteiligung bei Bundestagswahlen generell höher ausfällt als bei Landtagswahlen. Um den Effekt der Wahlenthaltung zu berücksichtigen, liegt deshalb allen weiteren Berechnungen eine Prozentuierung der Wahlergebnisse auf die Wahlberechtigten zugrunde.
Seit dem großen Wahlerfolg der CDU von 1983, der wiederum auf bundespolitische Faktoren zurückgeführt werden kann, läßt sich also ein stetiger Rückgang des CDU-Ergebnisses beobachten. Läßt man bei der Interpretation 1983 außer acht, so kann man sogar eine stetige Abnahme seit 1975 konstatieren.
Ein differenzierteres Bild erhält man bei Betrachtung der Veränderung der CDU-Wahlergebnisse auf Kreisebene, in der sich zeigt, daß seit 1975 nicht nur das landesweite Ergebnis der CDU zurückgegangen ist, sondern auch ihre einstigen Hochburgen, von denen später noch zu sprechen sein wird, geschleift wurden: Lagen zwischen dem schlechtesten und besten Kreisergebnis der Christdemokraten 1971 noch 32 Prozentpunkte, so schmolz diese Differenz stetig bis auf 21 Prozentpunkte im Jahr 1996. Die Standardabweichung s, die im Gegensatz zur Variationsweite auf Basis aller Kreisergebnisse berechnet wird, nimmt ebenfalls von 1971 bis 1991 kontinuierlich ab. In den einzelnen Kreisen hat also eine deutliche Nivellierung der Unionsergebnisse nach unten hin stattgefunden.
Tabelle 1: Unterschiede in den Wahlergebnissen (bezogen auf Wahlberechtigte) der CDU auf Kreisebene
Jahr |
Mittel |
Streuung |
|
V |
s |
||
(%-Punkte) |
|||
1971 |
39,19 |
32 |
7,67 |
1975 |
43,17 |
32 |
7,74 |
1979 |
39,31 |
31 |
7,07 |
1983 |
46,46 |
31 |
7,24 |
1987 |
34,24 |
25 |
5,30 |
1991 |
28,08 |
24 |
4,49 |
1996 |
26,73 |
21 |
4,01 |
Mit Ausnahme von vier Kreisen (Bitburg-Prüm, Mainz/Stadt, Kaiserslautern/Stadt und Worms), in denen sich die Partei 1996 marginal verbessern konnte, hat die CDU seit 1983 in allen Landesteilen durchgängig an Wählerstimmen verloren. Die schwersten Einbußen verzeichnete die CDU zwischen 1983 und 1987 - wie man in Tabelle 2 sieht - besonders in ihren vormaligen Hochburgen.
Tabelle 2: Stimmenverluste der CDU zwischen 1983 und 1996
Insgesamt |
Hochburgen |
Andere |
|
1987-1983 |
-12,24 | -17,50 | -11,28 |
1991-1987 |
-6,17 | -7,69 | -5,90 |
1996-1991 |
-1,39 | -1,69 | -1,34 |
Fälle jeweils gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten des ersten angegebenen Jahres, Stimmenanteile prozentuiert auf Wahlberechtigte
Sozialstrukturelle Determinanten des Wahlverhaltens
Auch in Zeiten einer eindeutigen Vormachtstellung der CDU gab es ausgeprägte regionale Unterschiede in verschiedenen Landesteilen. Hinter dem Ergebnis von 39,2% der Wahlberechtigten bei der Landtagswahl 1971 etwa verbirgt sich eine Differenz von 32,1 (!) Prozentpunkten zwischen den Kreisen Kusel (24,9%) und Daun (57,0%). Ein Blick auf die Karte verdeutlicht die Verhältnisse: Überragenden Erfolgen in den nördlichen und nordwestlichen Gebieten stehen vergleichsweise schlechte Ergebnisse in den städtischen Zentren des Rheintals und in Teilen der Pfalz gegenüber.
Dieser Befund läßt sich zunächst wie erwartet auf die Konfessionsstruktur des Landes zurückführen: Rheinland-Pfalz zerfällt auch heute noch in einen katholischen Nordwesten und einen überwiegend protestantisch geprägten Südwesten, während das Rheintal und Teile der Pfalz eine Mittelposition einnehmen. Als Nachfolgepartei des Zentrums waren die Christdemokraten immer - auch wenn es sich um eine überkonfessionelle Partei handelt - stärker in katholisch geprägten Gebieten verankert.
Karte 1: Katholikenanteile 1970 | Karte 2: Katholikenanteile 1987 |
Karte 3: CDU-Anteile (Wahlberechtigte) 1971 | Karte 4: CDU-Anteile (Wahlberechtigte) 1996 |
Deutlich wird dies in Tabelle 3, in der die Wahlergebnisse der CDU in Abhängigkeit vom Katholikenanteil in den jeweiligen Kreisen ausgewiesen ist. Im untersten Quartil befinden sich dabei die 25% der Kreise mit dem niedrigsten Katholikenanteil, im obersten Quartil jene 25% der Kreise mit dem höchsten Katholikenanteil. Als Vergleichsmaßstab ist das Landesergebnis angegeben. Das Viertel der Landkreise mit dem niedrigsten Katholikenanteil weist über alle Jahre hinweg weit unterdurchschnittliche CDU-Anteile auf, während die Union in dem Viertel mit dem höchsten Anteil an Katholiken überdurchschnittliche Erfolge erzielen konnte. In den 25% der Kreise mit dem höchsten Katholikenanteil erreichte die CDU 1971 immerhin rund 16 Prozentpunkte mehr als in den 25% der Gemeinden mit dem niedrigsten Katholikenanteil. Zwischen 1971 und 1996 läßt sich jedoch eine Nivellierung der Unterschiede zwischen den Quartilen feststellen. Die Unterschiede zwischen dem Wahlergebnis der CDU im höchsten und niedrigsten Quartil schmelzen zwischen 1971 und 1996 auf 9 Prozentpunkte zusammen. Die durch den Faktor Katholikenanteil" zu erklärende Varianz zwischen den Kreisen nimmt also ab. Beide Effekte - landesweiter Rückgang des CDU-Anteils und Rückgang der Differenzen zwischen den Kreisen - sind auch beim Vergleich der Karten 3 und 4 deutlich zu erkennen.
Wahljahr |
Landes- |
Katholikenanteil |
|||
ergebnis |
Quartil 1 |
Quartil 2 |
Quartil 3 |
Quartil 4 |
|
Q.grenze (VZ 1970) |
< 34,7 |
34,7 - 51,3 |
51,3 - 69,7 |
> 69,7 |
|
1971 | 39,2 |
30,5 |
35,4 |
41,2 |
46,9 |
1975 | 43,2 |
36,0 |
39,0 |
44,4 |
50,7 |
1979 | 40,3 |
33,1 |
36,3 |
41,8 |
47,3 |
Q.grenze (VZ 1987) |
< 34,9 |
34,9 - 48,3 |
51,3 - 67,2 |
> 67,2 |
|
1983 | 46,5 |
38,3 |
42,6 |
47,9 |
54,1 |
1987 | 34,2 |
27,7 |
32,3 |
35,7 |
39,0 |
1991 | 28,1 |
22,6 |
26,5 |
29,2 |
32,1 |
1996 | 26,7 |
21,6 |
25,2 |
27,7 |
30,7 |
Wie stark der Katholikenanteil in einem Kreis die Wahlergebnisse der CDU in diesem Kreis beeinflußt, läßt sich mit Hilfe linearer Regressionsrechnungen genauer bestimmen. Man sieht (vgl. Tabelle 4) zunächst, daß die Erklärungskraft (gemessen durch R² ) des Katholikenanteils und damit der Zusammenhang zwischen beiden Größen durchgängig sehr hoch ist. 72% der Unterschiede im CDU-Wahlergebnis zwischen den einzelnen Kreisen lassen sich 1971 alleine durch den Anteil der Katholiken erklären; 1996 beträgt R2 immerhin noch 66%. Die elektoralen Chancen der CDU in einem Kreis sind also nach wie vor in starkem Maße von der konfessionellen Struktur der Kreise abhängig.
Tabelle 4: Einfluß des Katholikenanteils auf die Wahlergebnisse der CDU - Lineare Regressionsmodelle
Jahr |
R² |
Konstante |
b |
(%) |
|||
1971 |
72% |
22,34 |
0,30 |
1975 |
62% |
27,19 |
0,29 |
1979 |
66% |
25,36 |
0,27 |
1983 |
71% |
29,99 |
0,30 |
1987 |
62% |
23,00 |
0,21 |
1991 |
58% |
18,83 |
0,17 |
1996 |
66% |
17,91 |
0,16 |
CDU-Anteil prozentuiert auf Wahlberechtigte, Katholikenanteil auf Bevölkerung. Fälle gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten
Sowohl der landesweite massive Stimmenverlust der CDU als auch die beschriebene Angleichung der Wahlergebnisse auf Kreisebene zeigt sich sehr deutlich an den Regressionsgleichungen für die jeweiligen Wahljahre (Tabelle 4): Der Stimmenanteil, den die CDU in einem hypothetischen Wahlkreis mit 0% Katholiken erhalten würde (Konstante), sinkt zwischen 1975 und 1996 - läßt man einmal den Sonderfall 1983 außer acht - von 27% auf knapp 18%. Die unstandardisierten Regressionskoeffizienten (b-Werte) gehen gleichzeitig um die Hälfte von 0,30 auf 0,16 zurück. Inhaltlich bedeutet dies: War eine Zunahme des Katholikenanteils von 10 Prozentpunkten gegenüber einem hypothetischen Wahlkreis ohne Katholiken 1971 noch mit einer Zunahme des CDU-Anteils von 3 Prozentpunkten verbunden, so halbierte sich dieser Wert bis 1996 auf 1,6 Prozentpunkte. Dieses Ergebnis spiegelt die zunehmende Angleichung in den einzelnen Wahlkreisen wieder.
Eine Erklärung der CDU-Ergebnisse, die sich, so überzeugend sie auch sein mag, nur auf den Einfluß des Katholikenanteils stützt, läuft jedoch Gefahr, andere möglicherweise genauso wichtige Größen außer Betracht zu lassen. So ist aufgrund der programmatischen Ausrichtung der CDU zu erwarten, daß die Partei in Rheinland-Pfalz vor allem agrarische Interessen vertritt und deshalb in eher ländlich strukturierten Kreisen besonders stark vertreten ist. Als Indikatoren für eine solche Struktur können zum Beispiel die Bevölkerungsdichte, die durchschnittliche Haushaltsgröße, der Anteil der Selbständigen und der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen" gelten, während der Anteil der Arbeiter und der Angestellten als Maß für Verstädterung beziehungsweise Industrialisierung und Tertiarisierung betrachtet werden.
Tabelle 5: Zusammenhang zwischen Strukturmerkmalen der Kreise und dem CDU-Ergebnis (Pearsons r)
Jahr |
Kath. |
Dichte |
Ø HHgröße |
% Selb. |
% Ang. |
% Arb. |
% Mith. |
1971 |
0,49 |
-0,40 |
0,56 |
0,26 |
-0,31 |
-0,09 |
0,38 |
1975 |
0,41 |
-0,40 |
0,57 |
0,29 |
-0,31 |
-0,15 |
0,45 |
1979 |
0,44 |
-0,43 |
0,61 |
0,31 |
-0,30 |
-0,09 |
0,45 |
1983 |
0,50 |
-0,40 |
0,51 |
0,27 |
-0,13 |
0,03 |
0,34 |
1987 |
0,49 |
-0,40 |
0,48 |
0,24 |
-0,07 |
0,05 |
0,26 |
1991 |
0,48 |
-0,43 |
0,47 |
0,26 |
-0,08 |
0,04 |
0,25 |
1996 |
0,54 |
-0,32 |
0,41 |
0,28 |
-0,01 |
0,05 |
0,23 |
Fälle gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten, Katholikenanteil sowie Berufgruppen prozentuiert auf die Bevölkerung.
Tabelle 5, in der die Korrelation dieser Größen mit dem CDU-Anteil ausgewiesen ist, zeigt, daß wie erwartet neben dem Katholikenanteil bei allen Wahlen seit den siebziger Jahren der Anteil der Selbständigen, der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen und die durchschnittliche Haushaltsgröße stark positiv mit dem CDU-Ergebnis korrelieren. Der Anteil der Angestellten und die Bevölkerungsdichte dagegen stehen in einem negativen Zusammenhang mit dem Unionsergebnis, während zwischen dem Arbeiteranteil und dem Abschneiden der CDU kein eindeutiger Zusammenhang besteht.
Dieses erste Zwischenergebnis kann dahingehend interpretiert werden, daß die großen Erfolge der CDU in den siebziger Jahren tatsächlich auf ihre Verwurzelung in einem ländlich-katholischen Milieu zurückzuführen waren. Neben überwiegend katholisch geprägten Kreisen, erzielte die Union in Kreisen mit einer geringen Bevölkerungsdichte, großen Haushalten und einem hohen Anteil an Landwirten und Winzern, überdurchschnittliche Erfolge. Umgekehrt blieb sie in den protestantischen Gegenden und dort, wo hoher Angestelltenanteil und Bevölkerungsdichte auf Verstädterung hindeuten, hinter ihrem Landesergebnis zurück. Für den Erfolg der CDU scheint neben der Konfession also eine ländliche Struktur der Kreise von Bedeutung zu sein.
Eine Möglichkeit, die relative Bedeutung dieser Faktoren für das Wahlergebnis der CDU zu bestimmen, bietet der Einsatz multipler linearer Regressionsmodelle.
Jahr |
R² |
% Katholiken |
Bev.dichte |
% Selbständ. |
Haush.größe |
|||||||||
b |
ß |
ba) |
ß |
b |
ß |
b |
ß |
|||||||
1971 |
79% |
0,28 |
0,78 |
-0,00 |
-0,21 |
0,03 | 0,01 | 2,16 |
0,08 |
|||||
1975 |
71% |
0,26 |
0,70 |
-0,00 |
-0,19 |
0,38 | 0,10 | 1,62 |
0,06 |
|||||
1979 |
78% |
0,23 |
0,71 |
-0,00 |
-0,20 |
0,56 | 0,16 | 1,20 |
0,05 |
|||||
1983 |
81% |
0,27 |
0,74 |
0,00 |
0,01 |
0,92 | 0,12 | 7,51 |
0,25 |
|||||
1987 |
70% |
0,19 |
0,72 |
-0,00 |
-0,09 |
-0,15 | -0,03 | 5,14 |
0,23 |
|||||
1991 |
67% |
0,15 |
0,69 |
-0,00 |
-0,19 |
-0,26 | -0,01 | 2,57 |
0,14 |
|||||
1996 |
70% |
0,15 |
0,75 |
-0,00 |
-0,01 |
0,15 | 0,04 | 3,28 |
0,19 |
In solchen Modellen wird der Einfluß der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable (CDU-Anteil) simultan bestimmt, d.h. für die Betrachtung jeder unabhängigen Variablen werden alle anderen unabhängigen Variablen konstant gehalte.
An der Zunahme von R² kann man erkennen, um wieviel Prozentpunkte die Berücksichtigung von Bevölkerungsdichte, Selbständigenanteil und Haushaltsgröße die Erklärungskraft des ursprünglichen Modells, das als einzigen Prädiktor den Katholikenanteil enthielt (vgl. Tabelle 4), erhöht haben. Der R²-Zuwachs schwankt zwischen 4 Prozentpunkten (1996) und 12 Prozentpunkten (1979). Die Wahlergebnisse der CDU lassen sich also durch die zusätzliche Betrachtung von Bevölkerungsdichte, Selbständigenanteil und Haushaltsgröße besser erklären als durch alleinige Betrachtung des Katholikenanteils.
Vergleicht man innerhalb für die verschiedenen Wahljahre die standardisierten b -Koeffizienten (vgl. Tabelle 6), so zeigt sich, daß zu allen Zeitpunkten keine der drei zusätzlichen Variablen auch nur annähernd die Bedeutung des Katholikenanteils erreicht. Seine b -Werte liegen für alle Wahljahre deutlich über denen der anderen unabhängigen Variablen. Dies bedeutet nichts anderes, als daß der Stimmenanteil der CDU in einem rheinland-pfälzischen Landkreis für die siebziger Jahre sehr gut über den Anteil der Katholiken an der Bevölkerung dieses Kreises geschätzt werden kann, weshalb wir uns im weiteren Verlauf der Analyse auf diesen Prädiktor stützen werden.
An den unstandardisierten Regressionskoeffizienten b kann abgelesen werden, wie sich die Einflußstärke der verschiedenen Kontextfaktoren im Zeitverlauf ändern. Auch im multivariaten Modell nimmt der Einfluß des Katholikenanteils auf die Wahlergebnisse der CDU von 0,28 bei der Wahl 1971 auf 0,15 im Jahr 1996 ab. Anders ausgedrückt: Der CDU-Anteil steigt zwar immer noch mit zunehmendem Katholikenanteil, jedoch nur noch knapp halb so stark.
Der bloße Rückgang der CDU-Ergebnisse ließe sich durch einen parallelen Rückgang des Katholikenanteils erklären. Zwischen 1970 und 1987 ist die konfessionelle Struktur des Landes jedoch weitgehend erhalten geblieben: Der Katholikenanteil ist 1987 kaum geringer als bei der vorangegangenen Volkszählung, und auch die regionale Verteilung der Konfessionen ist im wesentlichen dieselbe geblieben, wie aus den Karten 1 und 2 ersichtlich ist. Selbst wenn jedoch der Katholikenanteil gesunken wäre, könnte dies nicht den Rückgang des Regressionskoeffizienten über die Zeit erklären, da bei konstantem Wahlverhalten der Katholiken unabhängig von Abgängen und regionaler Migration die Steigung der Regressionsgeraden ebenfalls konstant geblieben wäre.
Deshalb bietet sich eine andere Erklärung an: Bei gleichbleibendem Anteil der Katholiken an der Bevölkerung geht die milieubildende Kraft der katholischen Konfession und damit ihr Einfluß auf das Wahlverhalten immer stärker zurück. Die Wähler bleiben Mitglieder der katholischen Kirche, die verhaltensleitende Kraft dieser Mitgliedschaft geht jedoch bei vielen verloren sie werden, zumindest, was das Wahlverhalten angeht, zu Taufscheinchristen". Ein solcher Ansatz der auf der Ebene des Individuums operiert, läßt sich durch Aggregatdaten nicht im eigentlichen Sinne überprüfen, hat jedoch vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse einige empirische Evidenz für sich.
Jahr | `75-`71 |
`79-`75 |
`83-`79 |
`87-`83 |
`91-`87 |
`96-`91 |
Pearsons r | -0,12 |
-0,06 |
0,36 |
-0,75 |
-0,53 |
-0,15 |
D CDU | 3,79 |
-3,01 |
6,10 |
-12,24 |
-6,17 |
-1,39 |
Ein Wechsel der Betrachtungsweise verdeutlicht den Befund noch einmal: Korreliert man, wie in Tabelle 7 geschehen, nicht den CDU-Stimmenanteil sondern dessen Veränderung (also Gewinne und Verluste) zwischen zwei Wahlen mit dem Katholikenanteil, so zeigt sich zunächst, daß es den Christdemokraten 1983 vor dem Hintergrund der Bundestagswahl noch einmal gelang, in den katholischen Wahlkreisen zuzulegen.
In eben diesen Gebieten jedoch mußte sie indessen 1987 die schwersten Verluste hinnehmen: Zwischen der Höhe des Katholikenanteil und den CDU-Differenzen besteht 1987 ein starker negativer Zusammenhang von -0,75, d.h. mehr als 50% der Varianz in den CDU-Verlusten werden allein durch den Katholikenanteil erklärt. 1991 fand ein weiteres Abschmelzen der CDU-Hochburgen statt, wenn auch nicht mehr im Umfang von 1987. Bei der jüngsten Wahl variieren die Verluste der CDU hingegen nicht mehr systematisch mit dem Katholikenanteil.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß zwischen den katholisch geprägten Kreisen im Nordwesten und den gemischtkonfessionellen beziehungsweise protestantischen Landesteilen mithin in den 80er Jahren eine Angleichung der Wahlergebnisse der Christdemokraten stattgefunden hat, die um so dramatischer ausgefallen ist, je höher das Ausgangsniveau der CDU war. Die CDU hat seit Ende der achtziger Jahre also nicht nur eine kontinuierliche landesweite Verschlechterung ihrer Wahlergebnisse hinnehmen müssen, sondern hat in ihren klassischen, vom Katholizismus geprägten Hochburgen besonders schwere Niederlagen erlitten, die sich überzeugend durch eine zumindest partielle Auflösung der katholischen Milieus und eine daraus resultierende Abnahme des Einflusses der Konfessionszugehörigkeit auf das Wahlverhalten erklären lassen. Für die dadurch geringer gewordenen Schwankungen der CDU-Anteile zwischen den Kreisen stellt der Katholikenanteil allerdings weiterhin einen zentralen Prädiktor dar.
Diskussion und Ausblick
Die von uns auf Wahlkreisebene nachgewiesene Entkoppelung zwischen dem Anteil der Katholiken und der Wahlentscheidung zugunsten der Union hat sich mit einer Deutlichkeit vollzogen, die es naheliegend erscheinen läßt, daß sich in größeren Segmenten der Bevölkerung tatsächlich sozialstrukturell vermittelte Bindungen auf individueller Ebene gelockert beziehungsweise aufgelöst haben, zumindest, was die Wahlentscheidungen auf Landesebene betrifft. Parallel zu diesem Ablösungsprozeß ist der Anteil der Nichtwähler in Rheinland-Pfalz auf rund 30% gestiegen. Eine kausale Interpretation dieses Befundes liegt auf der Hand, kann aber durch die Analyse von Aggregatdaten nicht abgesichert werden. Für die Entwicklung der politischen Landschaft in Rheinland-Pfalz ist es in jedem Fall entscheidend, ob es der Union oder einer anderen Partei gelingt, dieses Potential auszuschöpfen sei es durch eine (aus unserer Perspektive unwahrscheinliche) Reaktivierung der alten Bindungen, sei es durch überzeugende programmatische Angebote und/oder durch die Aufstellung zugkräftiger Kandidaten.
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