Beispiel Strukturgleichungsmodelle: Politische Wirksamkeit (Efficacy)

Das Konzept der political efficacy (Bürgerkompetenz) gehört zum Kernbestand der politischen Partizipationsforschung. Es bezeichnet das Gefühl der Bürger, den politischen Prozess beeinflussen zu können, und ist damit für das Selbstverständnis von Demokratien von zentraler Bedeutung. Wenn die Bürger den Glauben an ihren eigenen politischen Einfluss verlieren, liegt politische Entfremdung vor. Das Konzept wurde bereits von den Klassikern verwendet, seine Operationalisierung und Struktur werden aber kontrovers diskutiert. Grob lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden: internal political efficacy bezeichnet die Selbsteinschätzung der Bürger bezüglich ihrer politischen Kompetenz und Informiertheit, die als eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für politischen Einfluss betrachtet werden kann. External political efficacy hingegen meint die wahrgenommene Offenheit des Systems und der Eliten für die politischen Präferenzen und Meinungsäußerungen der Bürger. Beide Komponenten hängen empirisch zusammen, lassen sich aber analytisch voneinander abgrenzen.

Die ALLBUS Studie von 2008 enthält zwei bzw. drei Items, die diesen beiden Dimensionen zugeordnet werden können: “Die Politiker kümmern sich nicht viel darum, was Leute wie ich denken” (V85), “Die Politiker bemühen sich im allgemeinen darum, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten” (V88) sowie “Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu spielen” (V86), “Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht” (V87) und “Im allgemeinen weiß ich eher wenig über Politik” (V89). Für die Antworten war jeweils eine vierstufige Ratingskala mit den Polen “stimme voll zu”, “stimme eher zu”, “stimme eher nicht zu” und “stimme gar nicht zu” vorgegeben. Solche ordinalskalierten Indikatoren sind in der Politikwissenschaft sehr häufig. Während ordinale Variablen mit sieben und mehr Ausprägungen in der Regel so behandelt werden, als seien sie intervallskaliert, lässt sich dies im Falle der drei- oder vierstufigen Indikatoren kaum rechtfertigen. Hat man sich deshalb entschlossen, den ordinalen Charakter der Indikatoren bei der Modellierung von Strukturgleichungen ernst zu nehmen, so gibt es verschiedene Strategien, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Welche davon tatsächlich zur Verfügung stehen, hängt vom verwendeten Programm ab.

In Stata und MPlus können kategoriale Indikatoren durch Logit- bzw. Probit-Modelle abgebildet werden. Lisrel hingegen implementiert traditionell einen anderen Ansatz: Statt die Verteilung der kategorialen Variablen direkt zu modellieren, errechnet das vorgeschaltete Programm Prelis beim Einlesen von Daten, die es aufgrund der geringen Zahl unterschiedlicher Werte als kategorial interpretiert, statt der gewohnten Kovarianzen bzw. Pearsonschen Korrelationen sogenannte tetrachorische (für dichotome Variablen) bzw. polychorische (für ordinalskalierte Variablen) Korrelationen. In der aktuellen Version 9.5 bietet Lisrel ebenfalls die Möglichkeit, Messmodelle für ordinalskalierte Variablen mit einem Logit- oder Probit-Link zu spezifizieren, erreicht aber noch nicht die Flexibilität von MPlus oder Stata. Polytome Variablen können in Lisrel derzeit überhaupt nicht berücksichtigt werden.

Behandlung kategorialer Indikatoren in Stata

In Stata ist die Behandlung kategorialer Indikatoren trivial. Statt des Kommandos sem wird nun dessen “generalisierte” Variante gsem verwendet. Die Option ologit in den beiden Meßmodellen bedeutet, daß der Zusammenhang zwischen Faktoren und Indikatoren durch eine Serie ordinaler Logit-Modelle beschrieben werden soll. Dementsprechend handelt es sich bei den zugehörigen Parametern um Logit-Koeffizienten. Grundsätzlich kann für jeden Indikator ein eigenes statistisches Modell definiert werden. Vor allem bei größeren Modellen ist der numerische Aufwand allerdings recht hoch. Dementsprechend lange kann es dauern, bis die Schätzwerte vorliegen. Bei komplexen Modellen kommt es außerdem häufig zu Konvergenzproblemen.

use allbus-08-efficacy , replace
gsem (External -> pkuemmern vertreten, ologit) (Internal -> aktiv komplex wissen, ologit)

Behandlung kategorialer Indikatoren in Simplis/Lisrel

Auch in Lisrel bzw. Simplis läßt sich eine solche ordinal-logistische Modellierung leicht erreichen. Entscheidend ist hier Zeile 2. Diese bewirkt, dass die Zusammenhänge zwischen latenten Variablen und Indikatoren mit einem logistischen Link modelliert werden. Dabei kommt (wie in den anderen Programmen auch) ein numerisches Integrationsverfahren zur Approximation der Likelihood”Funktion zum Einsatz. =ADAPQ(8) bedeutet, dass diese adaptive Quadratur mit acht Integrationspunkten durchgeführt werden soll. Je höher die Zahl der Punkte, desto besser die Approximation, desto höher aber auch der numerische Aufwand. Acht bis zwölf Integrationspunkte reichen in der Praxis aus; bei sehr komplexen Modellen muss die Zahl zumindest in der Phase der Modellentwicklung nach unten korrigiert werden, weil die Modellschätzung sonst prohibitiv lange dauern kann.

Läßt man Zeile 2 weg, so schätzt Lisrel Modell auf Basis der poly- bzw. tetrachorischen Korrelationen, sofern die Variablen nicht in Prelis als intervallskaliert definiert wurden. Im Ergebnis unterscheiden sich alle drei Varianten der Modellierung jedoch kaum.

Raw Data From File allbus-08-efficacy.lsf
$ADAPQ(8) LOGIT

Latent Variables: Internal External
Relationships
pkuemmer = 1*External
vertrete = External
aktiv = 1*Internal
komplex = Internal
wissen = Internal

End of Problem

Behandlung kategorialer Indikatoren in MPlus

Die Behandlung kategorialer Indikatoren in MPlus bereitet ebenfalls keine besonderen Probleme. Wichtig ist hier vor allem das Schlüsselwort Categorical, mit dem die kategorialen Variablen im Modell identifiziert werden. Zu beachten ist außerdem, daß mit Estimator = ML; das Maximum-Likelihood-Verfahren ausgewählt wird. Voreinstellung in MPlus ist WLSMV (eine Variante von WLS/ADF), das einen Probit-Link impliziert. Durch die Auswahl des ML-Verfahrens wird statt dessen ein Logit-Link modelliert. Process = 4 ; weist das Programm an, vier Prozessorkerne (sofern vorhanden) zu nutzen. Auf entsprechend ausgestatteten Computern läßt sich dieser Wert bis maximal zur Zahl der vorhandenen Prozessorkerne erhöhen, was die Schätzung erheblich beschleunigen kann.

Data:
  File is allbus-08-efficacy.dat ;
Variable:
  Names are pkuemmern aktiv komplex vertreten wissen ;
  Categorical are pkuemmern aktiv komplex vertreten wissen ;
  Missing are all (-9999) ; 
Analysis:
  Estimator = ML ;      
  Process = 4 ;
Model: 
  external by pkuemmern vertreten ;
  internal by aktiv komplex wissen ;