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    Arzheimer, Kai. "Europa als Wertegemeinschaft? Ost und West im Spiegel des `Schwartz Value Inventory'." Deutschlands Metamorphosen. Ergebnisse des European Social Survey 2002 bis 2008. Eds. Keil, Silke I. and Jan W. van Deth. Baden-Baden: Nomos, 2012. 73–98.
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Europa als Wertegemeinschaft? Ost und West im Spiegel des „Schwartz Value Inventory“

1 Einleitung und Fragestellung

 

Werte bzw. Wertorientierungen gehören zu den zentralen Konzepten der vergleichenden Politikwissenschaft. Von Beginn der Umfrageforschung an wurden die Orientierungen gegenüber den zentralen Werten ihrer jeweiligen Gesellschaft immer wieder empirisch untersucht. Seit den 1970er Jahren wurde dabei zumeist auf die von Ronald Inglehart (u. a. 1971; 1989; 1997) entwickelten Konzepte und Instrumente zurückgegriffen, insbesondere auf die verkürzte Variante seiner Wertebatterie („Inglehart-Index“), die nicht nur in zahllosen nationalen, sondern auch in der Mehrzahl der großen internationalen Einstellungsstudien routinemäßig mitläuft (z. B. Eurobarometer, ISSP, EES, EVS, WVS).

Beim Design des European Social Survey (ESS) wurde jedoch ein anderer, eher ungewöhnlicher Weg gewählt. Statt des üblichen Inglehart-Instrumentes enthält der Fragebogen des ESS eine verkürzte Variante des von Shalom H. Schwartz (1992) entwickelten „Schwartz Value Inventory“.1 Anders als von Schwartz selbst vorgeschlagen (Schwartz, 2003, 267) haben die Primärforscher jedoch darauf verzichtet, zumindest in den ersten beiden Wellen des ESS parallel dazu auch das Inglehart-Instrument in den Fragebogen aufzunehmen. Dies ist insofern problematisch, als dadurch weder ein Vergleich der Ergebnisse beider Instrumente miteinander2 noch der Anschluß an den bisherigen Forschungsstand möglich ist, der sich in wesentlichen Teilen auf das Inglehart-Instrument und die damit verknüpfte Theoriediskussion bezieht. Politikwissenschaftliche Hypothesen, die mit dem Schwartz-Instrument in Zusammenhang stehen, wurden dagegen bisher kaum entwickelt. Statt dessen liegt der Schwerpunkt der bisherigen, sehr stark psychologisch ausgerichteten Forschung auf der Deskription von Unterschieden zwischen Ländern bzw. Personen, der Aufdeckung von strukturellen Beziehungen zwischen einzelnen Items des Instrumentes sowie der Untersuchung von Zusammenhängen zwischen den Schwartz-Items, Persönlichkeitsmerkmalen sowie Einstellungen und Verhaltensweisen.

Autorenversion. Die endgültige Fassung erscheint in Silke I. Keil/Jan W. van Deth (Hrsg.): Deutschlands Metamorphosen. Einheit und Differenzen in europäischer Perspektive. Nomos: Baden-Baden, 2011

Das vorliegende Kapitel ist deshalb notwendigerweise primär explorativ angelegt. Im Mittelpunkt steht wie in allen Kapiteln des Bandes der doppelte Vergleich innerhalb Deutschlands und Europas.

2 Werte und Wertorientierungen in der Vergleichenden Politikwissenschaft

Werte sind in den Sozialwissenschaften im allgemeinen und in der Politikwissenschaft im besonderen von großer Bedeutung. Nach der klassischen Definition von Kluckhohn (1951, 395) handelt es sich bei Werten um „Konzepte des Wünschenswerten“, mit deren Hilfe eine Auswahl unter den „verfügbaren Modi, Mitteln und Zielen“ sozialen Handelns getroffen wird. Betrachtet man mit Easton (1965, 50) Politik als den Prozeß, in dem für eine ganze Gesellschaft verbindliche Regelungen hergestellt werden, müssen Werte als die wichtigsten Maßstäbe, die von Eliten und Bürgern beim Treffen dieser Entscheidungen angelegt werden, notwendigerweise eine wichtige Rolle spielen.

Dies gilt in besonderer Weise für die Vergleichende Politikwissenschaft: Bereits Almond und Verba (1965), die ihrerseits auf ältere Überlegungen, die sich etwa bei de Tocqueville finden lassen, aufbauen, betonen die besondere Rolle von Werten für die nationale politische Kultur, ohne jedoch ein konsistentes System von Instrumenten und empirischen Hypothesen zur individuellen und kollektiven Entwicklungen von Werten bzw. Wertorientierungen – hierunter sind die meßbaren Einstellungen gegenüber bestimmten Werten zu betrachten – zu entwickeln. Auch in der Folgezeit konnte sich in der Politikwissenschaft kein Instrument allgemein durchsetzen. Folglich blieb die Auseinandersetzung mit Werten häufig ein reines Lippenbekenntnis und die empirischen Erkenntnisse dünn und hochgradig fragmentiert.

Dies änderte sich erst zu Beginn der 1970er Jahre mit Ronald Ingleharts Theorie des „postmaterialistischen Wertewandels“, die eng mit einem einfach und kostengünstig zu administrierenden Instrument verbunden war, das in der Folgezeit in einer Unzahl von nationalen und international vergleichenden Studien repliziert wurde. Trotz aller Kontroversen zählt es deshalb zu den bleibenden Verdiensten Ingleharts, daß er nicht nur die theoretische Diskussion über Wertorientierungen, sondern auch deren empirische Messung (wieder) in den Mittelpunkt der Vergleichenden Politikwissenschaft gerückt hat.

2.1 Postermaterialismus

In ihrer ursprünglichen Form besteht Ingleharts Ansatz aus der Verknüpfung zweier einfacher Hypothesen: Zum einen vermutet Inglehart – gestützt auf Maslovs Theorie der Bedürfnishierarchie (Maslov, 1943) – daß Menschen all jene Dinge besonders schätzen, an denen es ihnen momentan mangelt. Umgekehrt verlieren einmal erreichte Güter oder Ziele an Bedeutung und werden rasch als selbstverständlich betrachtet. Dies ist die sogenannte Mangelhypothese. Zum anderen geht Inglehart in Anlehnung an die Befunde der Entwicklungspsychologie davon aus, daß die während der „formativen Phase“ (Kindheit und Adoleszenz) erworbenen Einstellungen über die Zeit weitgehend stabil bleiben. Dies ist die sogenannte Sozialisationshypothese.

Die Hypothese eines langsamen, aber fundamentalen und mehr oder minder kontinuierlichen Wandels von Wertorientierungen ergibt sich aus der Kombination dieser beiden Hypothesen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der in den westlichen Industrieländern nach dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen war und zu massenhaftem Wohlstand auf einem bis dahin unbekannten Niveau geführt hat. Infolgedessen, so Inglehart, sind große Teile der nach dem Weltkrieg geborenen Generationen unter Bedingungen materieller Sicherheit, wenn nicht im Überfluß aufgewachsen. Diese Lebensverhältnisse haben das Weltbild dieser Gruppe nachhaltig geprägt: Da die materiellen Bedürfnisse weitgehend erfüllt waren, wandten sich diese Personen während ihrer formativen Phase weitergehenden politischen Zielen zu und entwickelten somit „post-materialistische“ Wertorientierungen, die im folgenden – weitgehend unabhängig von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung – beibehalten wurden.

Eine wichtige Konsequenz dieses Wertewandels ist die steigende Nachfrage nach Inhalten der sogenannten „Neuen Politik“, die in Westeuropa von den grünen und links-libertären Parteien vertreten wird, die in zahlreichen Ländern seit den 1970er Jahren gegründet wurden. Während es in der durch die ökonomische Links-Rechts-Dimension gekennzeichneten „Alten Politik“ primär um Konflikte über die Verteilung materieller Ressourcen ging, stehen im Mittelpunkt der „Neuen Politik“ Fragen der Selbstverwirklichung und der Lebensqualität.

Auf diesem Gegensatz zwischen den Prioritäten die von „Alter“ und „Neuer Politik“ gesetzt werden – Preisstabilität, Ruhe und Ordnung auf der einen Seite, Meinungsfreiheit und Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürger auf der anderen – basiert auch das bekannteste von Inglehart entwickelte Instrument, der sogenannte Inglehart-Index.3 In der Standardversion des Instrumentes müssen die Respondenten die vier genannten Ziele in eine eindeutige Reihenfolge bringen („Ranking“). Befragte, die die beiden letztgenannten Ziele an erste Stelle setzen, gelten als Postmaterialisten, während Personen, die die beiden erstgenannten Ziele am höchsten bewerten, als Materialisten eingestuft werden. Alle übrigen Antwortmuster werden als (im Sinne von Ingleharts Theorie relativ uninteressante) Mischtypen klassifiziert.

In den 1970er Jahren wurde Ingleharts Theorie zunächst mit großem Interesse aufgenommen, nicht zuletzt, weil sie eine Erklärung für das Aufkommen der sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen und das aus Sicht der Cleavage-Theorie (Lipset und Rokkan, 1967) völlig unerwartete Aufbrechen der westeuropäischen Parteiensysteme bot. Zu Beginn der 1980er Jahr zeigte sich allerdings, daß die Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre zu einem deutlichen Rückgang der vermeintlich stabilen postmaterialistischen Orientierungen geführt hatten (Böltken und Jagodzinski 1985; für eine alternative Interpretation im Sinne der Theorie: Inglehart 1981). Damit begann eine intensive, bis heute nicht völlig abgeschlossene Diskussion über Ingleharts inhaltliche und meßtheoretische Annahmen.

Rund zwei Jahrzehnte nach den ersten Veröffentlichungen zum Wertewandel in Westeuropa war die Kritik an Ingleharts Theorie und dem zugehörigen Instrument „Legende“ (Bürklin et al., 1996, 534). Bemängelt wurden u. a. die übermäßig simple Struktur der Theorie, die implizite Gleichsetzung von Werten und Bedürfnissen, die starke Betonung der Sozialisationshypothese gegenüber alternativen Mustern des individuellen Wertewandels (Alters- und Periodeneffekte), vor allem aber die Schwächen des Instrumentes, die sich in knapper Form wie folgt zusammenfassen lassen:

  1. Der Inglehart-Index zwingt die Befragten dazu, eine Rangordnung der politischen Ziele vorzunehmen und schließt eine differenzierte Bewertung der Items aus, auch wenn ihnen tatsächlich alle Ziele gleich wichtig (oder unwichtig) sind (Klein und Arzheimer, 1999). Von diesem inhaltlichen Problem abgesehen sprechen auch rein statistisch-methodische Gründe gegen das Ranking-Verfahren (Jackson und Alwin, 1980; van Deth, 1983b).
  2. Die Konstruktion des Instrumentes (in der sich die Struktur der Theorie widerspiegelt) suggeriert eine Reihe von künstlichen Konflikten, die in der realen Politik nicht bestehen, etwa zwischen dem Kampf gegen steigende Preise und dem Recht auf Meinungsfreiheit (Bürklin et al., 1996, 520).
  3. Die darauf aufbauende implizite Annahme, daß materialistische durch postmaterialistische Werte verdrängt werden, ist empirisch nicht haltbar (Bürklin et al., 1996, 517), steht im Widerspruch zu der von Inglehart selbst in Anlehnung an Maslov vorgeschlagenen Pyramidenstruktur von Werten und ist überdies höchst unplausibel, da ein Mindestmaß an materieller Sicherheit die Voraussetzung für die Entfaltung postmaterialistischer Werte ist (Haller, 2002, 147).
  4. Das Instrument basiert auf der Annahme, daß sich Wertorientierungen mit Hilfe von Politikpräferenzen messen lassen. Daraus ergeben sich eine Reihe von Folgeproblemen:
    1. Die Items decken nur einen Bruchteil von Werten ab (Herz 1979, 285-289; Haller 2002, 142-144)
    2. Eine Vielzahl von Panelstudien (u. a. van Deth, 1983a) zeigt, daß die mit dem Inglehart-Index gemessenen Einstellungen auf der Individualebene großen Schwankungen unterliegen, die mit dem Konzept stabiler Wertorientierungen inkompatibel sind
    3. Die Beantwortung der Items wird stark von aktuellen persönlichen Präferenzen und von der nationalen Themenagenda beeinflußt, so daß Vergleiche über die Zeit und über Ländergrenzen hinweg nicht sinnvoll sind (Flanagan, 1982b; Clarke et al., 1997).
    4. Der von Inglehart beschriebene Rückgang materialistischer Orientierungen ist ein Artefakt, das auf den seit Mitte der 1970er Jahre zu beobachtenden Rückgang der Inflation bei gleichzeitigem Ansteigen der Arbeitslosigkeit zurückgeht. Ersetzt man das Inflations-Item durch ein entsprechendes Item für Arbeitslosigkeit, kehren sich die Trends um (Clarke und Dutt, 1991; Clarke et al., 1997, 1999)
    5. Generell wird die Rangordnung der Items sehr stark von den aktuellen politischen Problemen beeinflußt (Davis et al., 1999; Davis und Davenport, 1999)

Obwohl die Schwächen des Instrumentes auf diese Weise offen zu Tage lagen und Ingleharts Ansatz seit den 1980er Jahren auch unter theoretischen Gesichtspunkten immer wieder in der Kritik stand (exemplarisch bereits Herz, 1979; Flanagan, 1982a), wurden stets neue Befragungen mit dem Instrument durchgeführt, die dann als Grundlage für weitere Publikationen dienten. Dies erklärt sich einerseits aus dem geringen Umfang des Instrumentes und verständlichen Wunsch, die bereits akkumulierten Zeitreihen nicht abzubrechen, andererseits aber auch aus der Schlüsselstellung, die Inglehart über einen langen Zeitraum in der international vergleichenden Einstellungsforschung eingenommen hat. Umso bemerkenswerter und erfreulicher ist es, daß sich bei der Konzeption des ESS Shalom H. Schwartz mit einem alternativen Vorschlag (Schwartz, 2003) zur Messung und Konzeptualisierung von Werten durchsetzen konnte.

2.2 Das Schwartz Value Inventory (SVI)

Anders als Inglehart zielte Schwartz bei der Entwicklung seines Instrumentes nicht darauf ab, eine Theorie des Wertewandels zu überprüfen. Seine Vorgehensweise orientiert sich statt dessen stärker an älteren Ansätzen: Ähnlich wie Rokeach (1967, 1968, 1973) ging es Schwartz seit den 1980er Jahren darum, ein möglichst umfassendes Inventar universeller Werte zu entwickeln, das in besonderer Weise für interpersonale und interkulturelle Vergleiche geeignet ist.

In seiner ursprünglichen Form enthält das SVI nicht weniger als 57 spezifische Werte, deren Relevanz als Leitlinien für das eigenen Leben von den Befragten mit Hilfe von Rating-Skalen bewertet werden muß (Schwartz, 1992). Diese lassen sich zu neun bzw. zehn allgemeineren Wertorientierungen4 zusammenfassen, hinter denen wiederum zwei grundlegende Konfliktdimensionen stehen.

 

Abbildung 1 etwa hier.

Quelle: Barnea und Schwartz (1998, 20)

Abbildung 1: Grundlegende Wertorientierungen und Konfliktdimensionen nach Schwartz

 

Abbildung 1 verdeutlicht die Annahmen, die hinter dem SVI stehen. Die zehn5 Grundwerte – Stimulation, Hedonismus, (individuelle) Leistung, Macht, Sicherheit, Tradition, Konformität, Benevolenz, Universalismus und Selbstbestimmung – sind in Form eines Rades6 angeordnet. Werte, die unmittelbar benachbart sind wie beispielsweise Universalismus und Benevolenz, sind miteinander kompatibel. Zwischen Werten, die weit voneinander entfernt liegen wie beispielsweise Machtstreben und Benevolenz, bestehen hingegen Konflikte, die sich mit Hilfe der beiden Dimensionen „Offenheit für Veränderungen“ vs. „Bewahrung des Bestehenden“ bzw. „Egoismus“ („self-enhancement“) vs. „Transzendenz“ beschreiben lassen.7

In einer kaum überschaubaren Zahl von Studien, die in Dutzenden verschiedener Länder durchgeführt wurden, gelang es Schwartz und seinen Kollegen zu zeigen, daß die 57 Items der ursprünglichen Skala in einer Vielzahl von Kulturen in ähnlicher Weise verstanden werden. Überdies ließ sich mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen und multidimensionalen Verfahren empirisch nachweisen, daß die Items den von Schwartz postulierten Grundwerten zugeordnet und in der in Abbildung 1 skizzierten Struktur angeordnet werden können, obwohl in einigen neueren Beiträgen die Fragen der interkulturellen Übertragbarkeit und der Strukturäquivalenz des SVI problematisiert werden.

In seiner ursprünglichen Form ist das SVI jedoch aufgrund seines Umfangs und der kognitiven Ansprüche, die es an die Respondenten stellt, für den Einsatz in repräsentativen Bevölkerungsumfragen ungeeignet. Schwartz hat deshalb mit dem „Portrait Value Questionnaire“ (PVQ, Schwartz et al., 2001) eine Variante seines Inventars entwickelt, die die kognitive Belastung der Respondenten reduzieren, dabei aber vergleichbar gute Ergebnisse wie das SVI liefern soll (kritisch zu diesem letzten Punkt u. a. Hinz et al., 2005).

 

Tabelle 1 etwa hier

Der PVQ basiert auf einer Reihe von kurzen verbalen Porträts, die jeweils einen Aspekt der zehn Grundwerte illustrieren. Mit Hilfe einer sechsstufigen Ratingskala sollen die Befragten jeweils angeben, wie sehr ihnen die geschilderte Person gleicht. Mit 40 Items ist diese Skala jedoch immer noch sehr umfangreich. Für die Messung von Wertorientierungen im European Social Survey wurden deshalb 21 Items8 dieser Skala ausgewählt, um die Kosten der Befragung und die Belastung für die Respondenten weiter zu reduzieren (Schwartz, 2003, 284-288). Tabelle 1 zeigt die Items und ihre Zuordnung zu den zehn Grundwerten im Überblick.

2.3 Probleme bei der Verwendung des PVQ im European Social Survey

Bei den zehn von Schwartz postulierten Grundwerte bzw. Wertorientierungen handelt es sich um latente Variablen, die nicht direkt beobachtet werden können. Zu ihrer Messung werden vielmehr die 21 (in der ESS-Variante des PVQ) Indikatoren benötigt, aus denen entsprechende Faktor-Scores errechnet werden können.9 Um diese Scores sinnvoll über Ländergrenzen hinweg vergleichen zu können, müssen bestimmte Äquivalenzbedingungen erfüllt sein, die als konfigurale, metrische und skalare Invarianz bezeichnet werden (zusammenfassend Davidov, 2010, 177-178) und sich auf das in Gleichung (1) skizzierte Meßmodell beziehen, das latente Variablen und Indikatoren miteinander verknüpft.

Mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen läßt sich die Gültigkeit dieser drei Bedingungen relativ leicht und elegant empirisch überprüfen. Dabei bezieht sich das grundlegende Kriterium der konfiguralen Invarianz zunächst darauf, daß in allen Ländern die gleiche theoretisch erwartete Faktorstruktur vorliegt. So sollten beispielsweise die Bewertungen der Items HE-1 und HE-2 in allen Ländern ausschließlich von der latenten Variable „hedonism“ beeinflußt werden. Anderenfalls ist der vergleichende Einsatz der Skala weitgehend sinnlos, da die Indikatoren unterschiedliche Konstrukte erfassen.

HE -1 = ±1 + ²1hedonism +ϵ1
(1)

Ist diese erste Äquivalenzbedingung erfüllt, kann in einem zweiten Schritt das Kriterium der metrischen Invarianz überprüft werden. Dieses bezieht sich auf die Faktorladungen β der Items, die ebenfalls über Ländergrenzen hinweg identisch sein bzw. nur innerhalb der aufgrund der Stichprobengröße zu erwartenden Schwankungsbreiten variieren sollten. Konkret könnte dies bedeuten, daß eine Veränderung der latenten Variable „hedonism“ um eine Einheit in allen Ländern eine entsprechende Zunahme der Bewertung des Items HE-1 um zwei Skalenpunkte nach sich zieht. Umgekehrt folgt daraus, daß Differenzen in den beobachteten Werten der Indikatoren als (über Ländergrenzen vergleichbare) Differenzen zwischen den über die Faktor-Scores quantifizierten latenten Variablen interpretiert werden können. Metrische Invarianz ist deshalb die Voraussetzung für Verwendung der Faktor-Scores in Regressionen und Korrelationsanalysen.

Liegt metrische Invarianz vor, so stellt sich drittens und letztens die Frage nach der skalaren Invariannz. Diese ist gegeben, wenn auch die Konstante α des Meßmodells über alle Länder hinweg den gleichen Wert aufweist, so daß aus identischen Werten der latenten Variable identische Meßwerte der Indikatoren resultieren.10 Dann und nur dann sind die Mittelwerte der Faktorscores über Ländergrenzen hinweg vergleichbar, so daß sich beispielsweise feststellen läßt, ob eine Gesellschaft im Mittel hedonistischer orientiert ist als eine andere.

Wie die Studie von Davidov et al. (2008b) für die erste sowie die Ergebnisse von Davidov (2008, 2010) für die zweite bzw. dritte Welle des ESS zeigen, sind die Items des verkürzten PVQ über die untersuchten Länder konfigural und metrisch, aber nicht skalar invariant. Ein Vergleich der mittleren Bedeutung von Werten über Ländergrenzen hinweg ist deshalb nicht bzw. nur für kleinere Subgruppen von Ländern möglich.11 Auf entsprechende Auswertungen muß in diesem Kapitel deshalb verzichtet werden.

Dies ist aber relativ unproblematisch, weil aus theoretischer Perspektive weniger die absolute Beurteilung eines Wertes als vielmehr das Differential der Zustimmung zu zwei oder mehr konfligierenden Werten von Interesse ist. Nur dann, wenn in einer Entscheidungssituation einer von beiden Werten höher gewichtet wird als der andere, kann sich die in der Literatur immer wieder thematisierte handlungsleitende Funktion von Werten entfalten. Ist ein Entscheider hingegen zwischen zwei konfligierenden Werten indifferent, so können ihm diese keine Handlungsorientierung geben. Dabei ist es unerheblich, ob beide Werte gleichermaßen positiv oder gleichermaßen negativ beurteilt werden.

In Anlehnung an die von Schwartz in Abstimmung mit dem ESS-Team gegebenen Empfehlungen (Schwartz, 2007, 180) werden deshalb in diesem Kapitel nicht die Rohwerte der Schwartz-Items, sondern vielmehr deren Abweichungen vom individuellen arithmetischen Mittel aller Antworten eines Befragten analysiert. Durch diese Betrachtungsweise werden einerseits die Effekte individueller Zustimmungs- und Ablehnungstendenzen kompensiert, die zunächst nicht unbedingt von Interesse12 sind: Unabhängig davon, ob ein Befragter allen Werten positiv gegenübersteht oder Werten insgesamt eine geringe Bedeutung zumißt, läßt sich so feststellen, welchen Werten die betreffende Person den Vorzug gibt. Andererseits werden durch die Zentrierung am individuellen Mittelwert aller Beurteilungen auch die globalen und wertespezifischen Bewertungsunterschiede13 zwischen den Ländern kompensiert. Auf diese Weise läßt sich dann beispielsweise feststellen, ob der Anteil derjenigen, die dem Wert tradition einen größeren Stellenwert beimessen als allen anderen Werten, in Land A höher oder niedriger ist als in Land B.14

3 Metamorphosen: Wertorientierungen in Deutschland und Europa

3.1 Theoretische Erwartungen und Analysestrategie

Der Ansatz von Schwartz ist eine Theorie der Konzeptualisierung und Messung von Wertorientierungen, die keine Aussagen über deren Entstehung, Wandel und Wirkung macht. Schwartz’ eigene Analysen zu diesem Thema auf der Basis des ESS sind dementsprechend stark explorativ angelegt (Schwartz, 2007). Insgesamt ist die bisherige Forschung zum Instrument primär psychologisch orientiert und konzentriert sich auf den Nachweis von Reliabilität und Validität in verschiedenen Kontexten sowie auf Zusammenhängen mit bestimmten Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmalen. Erst in der letzten Jahren wurde das Instrument auch von Schwartz selbst in (einer überschaubaren) Reihe von politikwissenschaftlichen Anwendungen eingesetzt. Dabei liegt der Fokus auf dem Zusammenhang zwischen Grundwerten, politischen Grundüberzeugungen, Einstellungen und Wahlverhalten (Barnea und Schwartz, 1998; Caprara et al., 2006; Schwartz et al., 2010). In jüngster Zeit wurden außerdem der Einfluß von Grundwerten auf die Einstellungen zur Immigration (Davidov et al., 2008a) und zur Außenpolitik (Schoen, 2009) untersucht. Im Zentrum steht hier die Frage, ob Orientierungen an Grundwerten einen strukturierenden Einfluß auf individuelle Überzeugungssysteme haben.

Aus dem bisherigen Forschungsstand zur Schwartz-Skala lassen sich daher kaum konkrete Hypothesen über etwaige Ost-West-Unterschiede und mögliche Entwicklungen über die Zeit ableiten, die im eigentlichen Sinne geprüft werden könnten. Vor dem Hintergrund der langen Tradition der Werteforschung ist es jedoch möglich, plausible Annahmen und Vermutungen zu formulieren, die den Bezugsrahmen für die in den folgenden Abschnitten präsentierten Analysen bilden.

So besteht in der Forschung ein breiter Konsens darüber, daß Wertorientierungen nicht nur allgemeiner, sondern auf individueller Ebene auch weitaus stabiler sind als gewöhnliche Einstellungen. Dies wird in der Regel damit begründet, daß Sozialisationseffekte die Herausbildung von Wertorientierungen entscheidend prägen, auch wenn diese nicht auf die von Inglehart beschriebene formative Phase und die von ihm postulierten materialistischen bzw. postmaterialistischen Orientierungen beschränkt sein dürften. Daraus folgt zunächst, daß die Orientierungen älterer Befragter im Osten Deutschlands und Europas noch nachhaltig von der Erfahrung und Werten der realsozialistischen politischen Systeme beeinflußt sein sollten, die von Unterordnung, Kollektvismus, materiellem Mangel und erzwungener Stabilität gekennzeichnet waren. Kombiniert man eine solche allgemeine Sozialisationshypothese mit Flanagans Konzept eines funktionalen Wertewandels (Flanagan, 1982a, 1987), demzufolge Individuen und Gesellschaften solche Wertorientierungen herausbilden (und zunächst beibehalten), die mit den jeweiligen sozialen und ökonomischen Umständen kompatibel sind, so steht zu erwarten, daß im Osten vor allem die vor 1970 geborenen Befragten die drei Werte aus dem Bereich „conservation“ (security, tradition und conformity) vertreten, während bei den jüngeren Generationen eine Annäherung an die stärker individualistischen und dynamischen Werte Westeuropas zu erwarten wäre.

Tatsächlich konnten Schwartz und Bardi (1997) auf Basis einer Vielzahl von kleineren Spezialuntersuchungen an Lehrern und Studenten zeigen, daß zumindest in den frühen 1990er Jahren sowohl zwischen Ost- und Westeuropa als auch innerhalb der Staatengruppe des früheren Ostblocks Unterschiede bestanden, die plausibel auf den Grad der Anpassung an die damals noch sehr präsente kommunistische Herrschaft zurückzuführen waren. Ein Vergleich von älteren und jüngeren Generationen war damals jedoch naturgemäß noch nicht möglich, ebensowenig eine Replikation der Befunde mit bevölkerungsrepräsentativen Stichproben.

Ein weiterer mit der Sozialisationshypothese verbundener Aspekt ist die positive Assoziation von hoher formaler Bildung und liberalen/individualistischen Einstellungen und Wertorientierungen (differenzierter dazu: Weil, 1985). Für diesen Befund gibt es mindestens zwei konkurrierende Erklärungen (Weakliem, 2002). Zum einen läßt sich argumentieren, daß der Erwerb höherer Bildungsabschlüsse die Herausbildung toleranter und individualistischer Einstellungen begünstigt („enlightment thesis“) oder sogar voraussetzt. Zudem arbeiten Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen normalerweise in einem Umfeld, wo solche Werte in Sinne Flanagans als funktional betrachtet werden können. Zum anderen sind Schulen und Universitäten aber auch wichtige Sozialisationsinstitutionen, in denen die Grundwerte eines politischen Systems vermittelt werden („core values thesis“). In der Regel wird die Vergabe eines Zertifikates sogar explizit oder implizit an die Übernahme dieser Werte gebunden. Wenn diese zweite Hypothese zutrifft, so sollte eine hohe formale Bildung im Westen einen negativen, im Osten hingegen einen positiven oder zumindest schwächer negativen auf die Bewertung von security, conformity und tradition haben.15

Sozialisationstheoretische Überlegungen sind ein zentraler Baustein vieler Theorien des Wertewandels. Dieser Befund sollte aber nicht den Blick auf alternative Erklärungsmechanismen verstellen, die in der Literatur diskutiert wurden und werden. Am einfachsten lassen sich diese unter Rückgriff auf die in der Kohortenanalyse entwickelte idealtypische Unterscheidung zwischen reinen Kohorten-, Perioden- und Alterseffekten (Oppenheim Mason et al., 1973) illustrieren, die sich auf die Zeitperspektive eines etwaigen Wertewandels beziehen.16 Die bisher angesprochenen Sozialisationseffekte von politischem Regime und formaler Bildung stellen sich im Zeitverlauf als reine Kohorteneffekte dar: Alle Angehörigen einer Geburts- oder Studienkohorte sind während einer formativen Phase den gleichen Sozialisationseffekten ausgesetzt, auf die sie mit der Herausbildung vergleichbarer Wertorientierungen reagieren. Diese werden dann im weiteren Verlauf des Lebens beibehalten, d. h. ein individueller Wandel findet nicht statt. Denkbar ist aber ein langsamer, über die Generationenfolge vermittelter Wertewandel auf der Makroebene, wenn sich etwa durch einen Regimewechsel die Sozialisationsbedingungen für die nachrückenden Kohorten grundlegend verändern.

Geht man hingegen davon aus, daß Sozialisationseffekte auch in späteren Phasen des Lebens auftreten können und Wertorientierungen deshalb zwar mittelfristig stabil, aber nicht völlig unveränderlich sind, so resultiert im Zusammenspiel mit einer prototypischen Abfolge prägender Lebensphasen – Schulzeit, Eintritt in den Beruf, Heirat und Geburt von Kindern etc. – ein Wandlungsmuster auf der Individualebene, das von Alterseffekten dominiert wird.17 Auf der Makroebene ergibt sich nur dann ein Wandel in der Verteilung von Wertorientierungen, wenn sich durch demographische Verschiebungen die relativen Anteile von jüngeren und älteren Menschen in der Gesellschaft verändern oder durch soziale oder ökonomische Wandlungsprozesse die prototypische Abfolge des Lebenszyklus verändert oder ausdifferenziert wird. Für die Fragestellung dieses Kapitels von zentraler Bedeutung ist, daß sich in Querschnittsuntersuchungen bzw. Trendstudien mit einigen wenigen Wellen nicht mit Sicherheit entscheiden läßt, ob etwaige empirischen Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Befragten, die aufgrund des Regimeswechsels für Osteuropa erwartet werden, primär auf Alters- oder Kohorteneffekte zurückgehen.

Nimmt man schließlich an, daß sich Wertorientierungen außerhalb von Generationenfolge und Lebenszyklus durch einschneidende äußere Ereignisse und Anforderungen verändert werden können, so ergibt sich ein drittes und letztes mögliches Wandlungsmuster: der reine Periodeneffekt, der die Befragten zu einem gegebenen Zeitpunkt unabhängig von Kohortenzugehörigkeit und Lebensalter beeinflußt. Ein häufig zitiertes Beispiel für einen solchen Periodeneffekt ist der in Umfragen zu beobachtende allgemeine Anstieg des Umweltbewußtseins nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Innerhalb des Bezugsrahmens der Kohortenanalyse wird dabei zumeist von solchen globalen Periodeneffekten ausgegangen. Denkbar sind aber auch Periodeneffekte, die nur solche gesellschaftlichen Teilgruppen betreffen, die in besonderer Weise von politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Veränderungen tangiert sind.

In Osteuropa ist hier neben der unmittelbaren Erfahrung des Epochenbruchs von 1990 vor allem an die Probleme der ökonomischen, politischen und sozialen Transformation während der 1990er Jahre und die nach wie vor anhaltende relative ökonomische Schwäche der neuen Demokratien zu denken, die unabhängig von Sozialisationseffekten einen Einfluß auf die Wertorientierungen in dieser Region haben dürfen. So geht die Forschung seit Weber (1980) und Lipset (1960) davon aus, daß ein wechselseitiger positiver Zusammenhang zwischen individuellem und kollektivem Wohlstand einerseits und der Akzeptanz individualistischer Werte andererseits besteht. Dementsprechend wäre schon auch auf Grund der ökonomischen Unterschiede zu erwarten, daß in den reicheren Gesellschaften Westdeutschlands bzw. Westeuropas auch unter Kontrolle individueller Merkmale die Werte self-direction stimulation und hedonism eine größere Rolle spielen als im Osten, während dort security, tradition und conformity höher bewertet werden dürften.

Ein letzter Aspekt, der häufig ebenfalls aus einer sozialisationstheoretischen Perspektive betrachtet wird, betrifft schließlich die mögliche Effekte des Geschlechts (grundlegend zum „gender gap“ Inglehart und Norris, 2000). Für die Schwartz-Skala konnten in der Vergangenheit schwache, aber interkulturell recht stabile Geschlechterunterschiede gezeigt werden: Männer bewerten power, stimulation, hedonism, achievement und self-direction im Mittel höher als Frauen, während diese benevolence und universalism und (in manchen Kontexten) security mehr Bedeutung zumessen (Schwartz und Rubel, 2005). Schon deshalb sollten mögliche Effekte des Geschlechtes stets kontrolliert werden.

Die auf den vorangegangen Seiten skizzierten Überlegungen zu den möglichen Unterschieden innerhalb Europas und Deutschlands bilden den Rahmen für die folgenden Analysen, insbesondere in Abschnitt 3.4, der sich mit der Verteilung von Werteprioritäten beschäftigt. Diesem Unterkapitel vorangeschaltet ist ein kurzer Abschnitt zur Datenqualität (3.2) sowie ein weiteres Unterkapitel, das der Frage nach geht, inwieweit die Struktur der Wertorientierungen im ESS den theoretischen Erwartungen entspricht, auf denen die Schwartz-Skala basiert (Abschnitt 3.3).

3.2 Datenqualität

Auch das im ESS verwendete verkürzte Schwartz-Instrument ist mit 21 Items sehr umfangreich. Zudem wurden die Wertorientierungen der Befragten in allen vier Wellen mit Hilfe eines zusätzlichen Fragebogens erhoben, den die Befragten nach Abschluß des eigentlichen Interviews selbst auszufüllen hatten, so daß mit einer größeren Zahl von Antwortausfällen zu rechnen ist.

Dennoch zeigt sich sowohl in Deutschland als auch in den europäischen Nachbarländern eine erfreulich hohe Antwortbereitschaft. Über alle Wellen hinweg haben in Westeuropa 89, in Osteuropa 87 der Befragten alle 21 Items der Schwartz-Skala bearbeitet. Für West- bzw. Ostdeutschland liegen die entsprechenden Raten sogar bei 94 bzw. 95 Prozent. Umgekehrt sind Totalausfälle recht selten: In Deutschland haben lediglich ein (West) bzw. weniger als ein Prozent der Befragten keine der 21 Fragen beantwortet. In den Gruppen der west- bzw. osteuropäischen Nachbarländern liegen diese Werte mit fünf bzw. zwei Prozent geringfügig höher. In der Mehrheit der übrigen Fälle wurden lediglich jeweils ein bis drei Fragen nicht beantwortet, so daß für die überwältigende Mehrheit der Befragten verwertbare18 Antworten vorliegen. Angesichts dieses insgesamt sehr geringen Rate von Item-Nonresponse kann im folgenden auf den Einsatz von Imputationstechniken verzichtet werden.

3.3 Struktur von Werten

 

Abbildung 2 etwa hier.

Abbildung 2: Struktur der Wertorientierungen in Westeuropa

 

Wie oben in Abschnitt 2.2 ausführlich dargelegt, ordnet Schwartz die zehn Grundwerte, die seinen Instrumenten zugrundeliegen, in Form eines Circumplexes an, innerhalb dessen kompatible Werte näher beieinander positioniert werden. Mit Hilfe multidimensionaler Verfahren konnte Schwartz für eine große Zahl von Gesellschaften empirisch zeigen, daß diese Struktur der Bewertung der 56 Items des SVI zugrundeliegt. Auch für den auf 40 Items verkürzten PVQ ließ sich diese Struktur immer wieder reproduzieren. Um zu überprüfen, ob dies auch für die im ESS enthaltene Kurzfassung der Schwartz-Skala gilt, wurde ein recht einfaches Verfahren gewählt. Zunächst wurde – getrennt für die westeuropäischen Core-Länder, Westdeutschland, Ostdeutschland und die osteuropäischen Core-Länder aber über alle vier Wellen des ESS hinweg – die 210 paarweisen Pearsonschen Korrelationen zwischen der Bewertung der 21 Items berechnet. Die resultierende Dreiecksmatrix kann als Ähnlichkeitsmatrix interpretiert werden: Hohe positive Korrelationen implizieren, daß die entsprechenden Items von den Befragten als ähnlich wahrgenommen und bewertet werden. Niedrigere oder negative Korrelationen stehen hingegen für eine größere Distanz zwischen den Items. Diese abgeleiteten Distanzen19 wurden dann einer klassischen Multidimensionalen Skalierung (MDS) unterzogen. Dabei wurden die Items so in einer zweidimensionalen Fläche angeordnet, daß die über die Korrelationen ausgedrückten Abstände zwischen ihnen möglichst gut reproduziert werden.

Als Kriterium für die Anpassung einer MDS-Lösung wird häufig Kruskals Streß-Maß verwendet. Als gängiger, wenn auch nicht unproblematischer (Borg und Groenen, 1997, 47-48) Schwellenwert für eine noch akzeptable Lösung wird häufig ein Wert von 0,15 genannt. In allen vier Gruppen wird mit zwei Dimensionen eine akzeptabler, wenn auch keineswegs perfekter Fit erreicht. Mit Werten zwischen 0,17 (Osteuropa) und 0,16 (Ostdeutschland) wird dieses Kriterium in allen vier Gruppen knapp verfehlt. Dies deutet darauf hin, daß eventuell eine dritte Dimension benötigt wird, um eine zufriedenstellende Repräsentation der Struktur zu erreichen. In der Literatur wird allerdings immer wieder darauf hingewiesen, daß der Schwellenwert von 0,15 recht willkürlich gewählt ist. Für die Grafiken wurde deshalb die übersichtlichere und theoriekonforme zweidimensionale Darstellung beibehalten.

Abbildung 2 zeigt zunächst die Konfiguration für die westeuropäischen Nachbarländer. Hier ist zunächst festzuhalten, daß die Grundstruktur der Lösung der von Schwartz postulierten Form des Circumplexes entspricht: die Items sind ringförmig um ein leeres Zentrum herum angeordnet. Ein Vergleich mit Abbildung 1 zeigt außerdem, daß die Anordnung der Werte auf diesem Ring den theoretischen Erwartungen entspricht, auch wenn die Konfiguration gespiegelt ist20: So sind power, achievement und hedonism unmittelbar benachbart und zugleich maximal von universalism und benevolence entfernt. Problematisch erscheint allerdings, daß einige der Items, die dieselbe Wertorientierung messen sollen, relativ weit auseinanderrücken. Dies gilt insbesondere für die beiden power-Items, aber auch für das erste Item für tradition. Ebenfalls deutlich zu erkennen ist, daß einige der zehn Wertorientierung in den Augen der Befragten zusammenfallen (z. B. conformity, tradition und security). Dies deckt sich mit den Analysen von Davidov (Davidov, 2008; Davidov et al., 2008b; Davidov, 2009), in denen die Zahl der unterscheidbaren Grundwerte auf bis zu sieben reduziert werden mußte, um für alle Länder eine einheitliche Faktorstruktur zu erhalten.

 

Abbildung 3 etwa hier.

Abbildung 3: Struktur der Wertorientierungen in Westdeutschland

 

Daß es sich bei den relativ großen Abständen zwischen Items, die dasselbe Konstrukt messen sollen, nicht um eine Idiosynkrasie der westeuropäischen Daten handelt, die daraus resultiert, daß hier immerhin 14 Länder mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Traditionen zusammengefaßt werden, belegt die Skalierung für Westdeutschland. Diese ergibt ein fast identisches, ein Teilen sogar noch disparateres Bild (vgl. Abbildung 3).

 

Abbildung 4 etwa hier.

Abbildung 4: Struktur der Wertorientierungen in Ostdeutschland

 

Ganz ähnlich gestaltet sich auch die Lage in Ostdeutschland (Abbildung 4.) Wie in Westdeutschland und Westeuropa werden auch hier die Items für tradition und power jeweils als recht unähnlich wahrgenommen, während umgekehrt analytisch getrennte Wertorientierungen miteinander verschmelzen.

 

Abbildung 5 etwa hier.

Abbildung 5: Struktur der Wertorientierungen in Osteuropa

 

Auch in Osteuropa (5) zeigt sich – von einigen Besonderheiten wie der Randlage des Items „he believes that people should do what they’re told“ (CO-1) einmal abgesehen – ein im wesentlichen identisches Bild. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die gegenüber dem Ausgangsinstrument SVI drastisch vereinfachte Schwartz-Skala des ESS offensichtlich kein perfektes Instrument ist. Zumindest die Grundstrukturen des Schwartzschen Wertekosmos werden aber einigermaßen adäquat abgebildet. Dabei sind keine offensichtlichen Unterschiede zwischen Ost und West zu erkennen. Problematisch ist in erster Linie, daß einige Items der Skala, die eigentlich denselben Grundwert messen sollen, von den Befragten als relativ unterschiedlich beurteilt werden, während umgekehrt Indikatoren für benachbarte, aber analytisch voneinander separierbare Wertorientierungen empirisch sehr eng miteinander verbunden sind. Die im folgenden Abschnitt referierten Ergebnisse sollten mit Blick auf diese meßtheoretisch suboptimale Situation mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden.

3.4 Verteilung von Werteprioritäten

Wie oben in Abschnitt 2.3 dargelegt, wurden die Rohwerte der Schwartz-Skala an den individuellen Mittelwerten der Befragten über alle beantworteten Items zentriert. Dieser individuelle Mittelwert wird von Schwartz im Sinne einer allgemeinen Zustimmungstendenz verstanden, könnte in Anlehnung an Klages aber auch als Indikator für eine Wertsynthese (vgl. FN 12) interpretiert werden. Über alle Befragten der Core-Länder hinweg liegt die mittlere Bewertung der Items bei einem Wert von 4.2, was in etwa der Aussage „somewhat like me“ entspricht. Dabei zeigen sich mit einer Standardabweichung von 0.57 beträchtliche Unterschiede zwischen den Befragten, aber keine systematischen Variationen über die hier betrachteten Ländergruppen: Weniger als ein Promille der Gesamtvarianz entfällt auf Unterschiede zwischen den Gruppen.21

Anschließend wurde entsprechend der Empfehlungen von Schwartz Indizes (Mittelwerte) für jeden der zehn Grundwerte gebildet. In einem dritten Schritt wurden dann für die hier betrachteten Gruppen Mittelwerte über diese Indizes berechnet. Diese beschreiben als Indikator für die innerhalb einer Ländergruppe zu beobachtenden Werteprioritäten die mittlere Abweichung der Befragten bezüglich dieses Wertes von ihrer persönlichen mittleren Bewertung aller Grundwerte.

 

Tabelle 2 etwa hier

Tabelle 2 zeigt die Befunde. Dabei ist innerhalb des Gesamtdatensatzes eine klare Hierarchie von Werten zu erkennen.22 Power und stimulation erhalten weit, achievement und hedonism immer noch deutlich unterdurchschnittliche Beurteilungen. Conformity und tradition nehmen fast exakt durchschnittliche, self-direction und security (die eine gewisse Ähnlichkeit mit den von Inglehart postulierten postmaterialistischen und materialistischen Werten haben) hingegen beide klar überdurchschnittliche Positionen ein. Ganz oben in der kollektiven Wertehierarchie schließlich rangieren die altruistischen Werte universalism und benevolence. Angesichts der weitverbreiteten kulturpessimistischen Klagen über die vermeintliche Zunahme individualistischer, wenn nicht egoistischer Orientierungen mag dies ein etwas überraschendes Ergebnis sein.

Betrachtet man die Daten getrennt nach Ländergruppen, so zeigen sich einige subtile, aber aufschlußreiche Differenzen gegenüber der Gesamtperspektive. In den westeuropäischen Core-Ländern ist die Rangfolge der Werte essentiell identisch.23 Allerdings fällt die Abwertung von power und die Wertschätzung von universalism und benevolence noch etwas deutlicher aus. Vor allem aber wird self-direction hier erkennbar höher bewertet als security, während beide im Gesamtdatensatz exakt gleichauf liegen.

In Westdeutschland entspricht die Rangfolge der Werte dem westeuropäischen Muster. Unterschiede bestehen hier nur bezüglich der noch etwas deutlicher ausgeprägten Abwertung von stimulation und conformity sowie den noch höheren Werten für self-direction und benevolence.

Auch die Prioritäten in Ostdeutschland entsprechen dem aus westeuropäischen Core-Ländern bekannten Muster. Allerdings werden power und stimulation nochmals deutlich negativer bewertet. Auffällig ist aber innerhalb des generellen Musters, daß conformity und security (nicht aber tradition) erkennbar positiver bewertet werden als in Westdeutschland. Dies entspricht im großen und ganzen den oben in Abschnitt 3.1 skizzierten Erwartungen, ohne daß es aber im Vergleich mit Westdeutschland zu einer abweichenden Wertehierarchie kommt.

Geradezu frappierend sind aber die Ergebnisse für die osteuropäischen Core-Länder. Zunächst ist hier festzuhalten, daß power hier etwas positiver als in den anderen Gruppen bewertet wird und stimulation vom letzten Platz in der Hierarchie verdrängt. Dafür wird hedonism deutlich negativer beurteilt als in Deutschland und Westeuropa.

Entsprechend der oben formulierten Erwartungen werden conformity und tradition hingegen erkennbar positiver bewertet als in den anderen Ländern. Vor allem aber werden self-direction, benevolence und universalism gegenüber der westlichen Rangfolge klar abgewertet. Statt ihrer erscheint security als Leitwert der osteuropäischen Gesellschaften.

Damit hat sich ein wesentlicher Teil der Vermutungen aus Abschnitt 3.1 bestätigt: die Werte aus dem Bereich „consesrvation“ und insbesondere das Streben nach Sicherheit spielen in den osteuropäischen Core-Ländern eine deutlich größere Rolle als im Westen.

Interessanterweise kommt jedoch Ostdeutschland dem westlichen Muster sehr nahe. Hierfür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum einen handelt es sich bei Ostdeutschland um den Sonderfall einer postsozialistischen Gesellschaft, die in einen westlichen Staat integriert wurde. Westdeutsche Eliten und Bürger hatten vor, während und vor allem nach der staatlichen Vereinigung einen wesentlichen materiellen und immateriellen Einfluß auf den Transformationsprozeß, der in dieser Stärke in anderen postsozialistischen Gesellschaften fehlt. Insbesondere standen mit den bereits seit dem Sommer 1990 wirksamen Abkommen zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion Mechanismen und Mittel bereit, um die sozialen und ökonomischen Folgen des Regimewechsels aufzufangen. Zum anderen ist es aber auch wichtig darauf hinzuweisen, daß innerhalb der Gruppe der ehemals sozialistischen Länder bereits vor der Epochenwende von 1990 erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische Unterschiede bestanden.

Dies gilt naturgemäß auch für die osteuropäischen Core-Länder – Estland, Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien, Ukraine und Ungarn, wo diese Unterschiede bis heute fortwirken und sich seit 1990 teils noch verstärkt haben. Dementsprechend ist die Region auch bezüglich ihrer Wertorientierungen durchaus heterogen.

Oben im Text wurde die Vermutung geäußert, daß neben der aktuellen Situation in den neuen Demokratien Osteuropas auch (generationspezifische) Sozialisationseffekte und möglicherweise Bildungseffekte für die Unterschiede zwischen Ost und West verantwortlich sein könnten. Zum Abschluß dieses Abschnittes soll diese Hypothese überprüft werden. Dazu wird die Betrachtungsweise etwas vereinfacht und die Gruppe derjenigen, die ihrer persönlichen Wertehierarchie dem Wert security höchste Priorität geben (prioSEC=1),24 allen übrigen Befragten gegenübergestellt (prioSEC=0). Die entsprechenden Anteilswerte liegen in Westeuropa bei 38, in Westdeutschland bei 36, in Ostdeutschland bei 42 und in Osteuropa bei 57 Prozent. Ein logistisches Regressionsmodell, das im Sinne einer Baseline nur Effekte für die Ländergruppen enthält (Modell 1 in Tabelle 3), reproduziert diese Verteilung exakt.

Modell 2 erweitert dieses Nullmodell um die Haupteffekte von Geburtskohorte, formaler Bildung25 und Geschlecht. Im Ergebnis verschwinden die ohnehin geringen Unterschiede zwischen Westdeutschland und Westeuropa (der Referenzkategorie) vollständig. Die Differenzen zwischen Westeuropa einerseits und Ostdeutschland und vor allem Osteuropa andererseits verstärken sich hingegen nochmals leicht.

Die Effekte der drei zusätzlichen Variablen entsprechen den Erwartungen. Der Effekt des Geschlechts ist wie in der Studie von Schwartz und Rubel (2005) leicht negativ, d. h. Männer haben ceteris paribus über alle Ländergruppen hinweg eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit, den Wert security an erste Stelle zu setzen.

Deutlich stärker ist der Effekt der formalen Bildung. Mit jeder Veränderung um einen Punkt auf der siebenstufigen Skala reduziert sich der Logit um einen Wert von -0.15, was, je nach Ausprägung der anderen Variablen und dem Ausgangspunkt des Bildungsniveaus, einem Rückgang um rund drei Prozentpunkte entspricht. Es besteht also eine deutliche Kluft zwischen Menschen mit niedriger formaler Bildung, unter denen Rund die Hälfte dem Wert der Sicherheit höchste Priorität einräumt, und Menschen mit hoher formaler Bildung, unter denen etwa zwei Drittel einen anderen Wert an oberste Stelle setzen.

Dabei kann es sich einerseits um einen Sozialisationseffekt im Sinne der „enlightment“- oder „core values“-These handeln. Denkbar ist aber auch, daß Höhergebildete ihrer eigene Lebenslage aufgrund ihres im Mittel höheren Einkommens und ihrer besseren Ausstattung mit Sozial- und Humankapital bereits als relativ sicher empfinden.

Stark positiv ist schließlich der Effekt der Kohorten- bzw. Alterseffekt.26 Bei den jüngeren liegt die Präferenz für security (wiederum in Abhängigkeit von der Ausprägung der übrigen Variablen) rund zehn Prozentpunkte niedriger als bei den älteren Befragten.

An der Veränderung der Pseudo-R2-Werte ist zu erkennen, daß sich der Fit des Modells durch die Aufnahme der zusätzlichen Variablen sehr deutlich verbessert, obwohl nur drei Parameter mehr geschätzt werden müssen. Dementsprechend sinkt der Wert für das Bayesian Information Criterion (BIC’), das zum Zweck des Modellvergleichs die Zahl der Parameter und die Anpassung der Daten zueinander ins Verhältnis setzt, dramatisch ab. Modell 2 ist damit dem Nullmodell klar überlegen.

Um zu überprüfen, ob diese Effekte regionsspezifisch sind, werden in Modell 3 zusätzliche Interaktionsterme zwischen der Region einerseits und der formalen Bildung sowie der Kohortenzugehörigkeit andererseits eingeführt. Die Modelanpassung verbessert sich dadurch nochmals erkennbar. Die inhaltlichen Ergebnisse entsprechen dabei aber nur teilweise den Erwartungen.

Für den Effekt der Bildung besteht in beiden Teilen Deutschlands eine Interaktion nahe null, d. h. der Effekt ist im wesentlichen mit der Wirkung der formalen Bildung in Westeuropa identisch. In Osteuropa gibt es hingegen wie oben vermutet eine positive Interaktion. Diese reicht allerdings nicht aus, den negativen Effekt der Bildung vollständig aufzuwiegen, d. h. auch in Osteuropa haben formal höher gebildete Befragte eine geringere Wahrscheinlichkeit, den Wert security an die erste Stelle ihrer persönlichen Werthierarchie zu setzen.

Noch sehr viel schwächer und trotz der großen Fallzahlen nicht statistisch signifikant ist der Interaktionseffekt zwischen der Kohortenzugehörigkeit und der Eigenschaft, in Osteuropa zu leben. So beträgt in Westeuropa die erwartete Wahrscheinlichkeit für einen ab 1970 geborenen Mann mit mittlerer Bildung (3 Skalenpunkte), den Wert security an die erste Stelle zu setzen, 30 Prozent. In der vor 1970 geborenen Gruppe ist diese Wahrscheinlichkeit rund neun Prozentpunkte größer, während die Differenz in Osteuropa (bei einem mit 50 Prozent sehr viel höheren Ausgangsniveau) etwa zehn Prozentpunkte beträgt. Anders, als man es vermuten könnte, gibt es also innerhalb der jüngeren Generationen in Osteuropa keine durch die veränderten Sozialisationsbedingungen zu erklärende Annäherung an die Verhältnisse in Westeuropa.

An den Koeffizienten ist weiterhin abzulesen, daß mit 48 Prozent bei den älteren Ostdeutschen (wiederum mittleres Bildungsniveau und männliches Geschlecht vorausgesetzt) eine deutlich höhere Affinität zu security besteht als bei der westeuropäischen Referenzgruppe (39 Prozent) oder auch den gleichaltrigen Westdeutschen (41 Prozent). Zumindest innerhalb dieser Altersgruppe nimmt Ostdeutschland also wieder eine Mittelstellung zwischen Ost- und Westeuropa ein.

Jüngere Deutsche hingegen bewegen sich mit 27 (West) bzw. 30 Prozent (Ost) leicht unterhalb bzw. exakt am entsprechenden westeuropäischen Wert. Dieser Befund stützt die von Arzheimer und Klein (2000) formulierte Annahme, daß es unter den jüngeren Generationen tendentiell zu einer Annäherung zwischen Ost und West kommt, allerdings nur für den Sonderfall Bundesrepublik.27

Zusammenfassend läßt sich damit festhalten, daß die prominente Stellung des Wertes security in Osteuropa mit den hier betrachteten Variablen nicht allzu gut zu erklären ist und daß die regionsspezifischen Effekte des Alters und der formalen Bildung kaum Hinweise auf starke Sozialisationseffekte in Osteuropa liefern. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Ost- und Westeuropa bilden keineswegs monolithische Blöcke; vielmehr variiert die Bedeutung von security erheblich über die Länder in beiden Regionen. Dementsprechend läßt sich mit einem Modell, das keine Regional- und Individualvariablen, sondern ausschließlich Länderdummies enthält (wegen der großen Zahl von Koeffizienten nicht tabellarisch ausgewiesen), eine höhere Erklärungskraft als mit Modell 3 erzielen28, obwohl die individuelle Variation innerhalb der Ländern beträchtlich bleibt.

Augenfällig ist dabei das Muster der Ländereffekte: Deutschlands kontinentaleuropäische Nachbarländer Belgien, Österreich, Frankreich sowie die Schweiz und die Niederlande unterscheiden sich nicht sehr stark von Westdeutschland, das hier als Referenzgruppe dient. Für die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten Dänemark, Norwegen und Schweden werden hingegen stark negative Koeffizienten geschätzt, d. h. die Bürger dort haben eine substantiell niedrigere Wahrscheinlichkeit, dem Wert security höchste Priorität zu geben als die Westdeutschen. Am stärksten ausgeprägt ist das Bedürfnis nach Sicherheit in osteuropäischen Ländern wie Ungarn, der Slowakei, Polen und der Ukraine. Der zweitstärkste Effekt überhaupt findet sich allerdings nicht den postsozialistischen Staaten, sondern in Griechenland. Auch in anderen westeuropäischen Staaten wie Spanien und (mit Einschränkungen) Portugal werden Werte erzielt, die sich im selben Bereich bewegen wie die (verglichen mit der ersten Gruppe osteuropäischer Staaten deutlich schwächeren) Effekte für Estland, Slowenien und die Tschechische Republik.

Auf Grund der sehr beschränkten Anzahl von Fällen (Ländern) läßt sich nicht definitiv klären, ob diese strukturellen Ähnlichkeiten eher auf die politisch unruhige Vergangenheit der drei westeuropäischen „Neuen Demokratien“ oder auf die rezenteren wirtschaftlichen Probleme und die relative Schwäche der wohlfahrtstaatlichen Institutionen zurückgeht. Insgesamt deuten die Ergebnisse aber darauf hin, daß nicht nur die Sozialisationserfahrungen der letzten Jahrzehnte, sondern auch relativ aktuelle wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungen einen Einfluß auf die Wertschätzung von security haben.29

4 Zusammenfassung und Ausblick

Gegenstand dieses Kapitels war ein Überblick über die Verteilung von Wertorientierungen in Ost und West. Wertorientierungen werden im ESS nicht mit dem häufig verwendeten aber problematischen Inglehart-Index, sondern mit einem (relativ) neuen Instrument gemessen, das in einer Vielzahl internationaler Untersuchungen erprobt wurde, aber außerhalb der Sozialpsychologie bislang wenig bekannt ist. Anders als im Falle des Inglehart-Index liegt diesem Instrument keine Theorie der Genese und des Wandels von Wertorientierungen zugrunde, aus denen strikte Hypothesen abgeleitet werden könnten. In Abschnitt 3.1 wurden deshalb auf Grundlage der üblicherweise in der Werteforschung diskutierten Mechanismen und der Besonderheiten der politischen Situation in Osteuropa einige relativ allgemeine Vermutungen formuliert, die dann in Abschnitt 3.4 empirisch geprüft wurden, nachdem zuvor in Abschnitt 3.3 gezeigt werden konnte, daß das Instrument auch in der im ESS verwendeten Kurzform näherungsweise theoriekonform funktioniert.

Im Ergebnis hat sich gezeigt, daß in Ostdeutschland, Westdeutschland und in Westeuropa insgesamt eine relativ einheitliche Hierarchie von Werten anzutreffen ist, in der universalism und benevolence den höchsten Stellenwert genießen, während power und stimulation relativ unpopulär sind. Im Einklang mit den theoretischen Erwartungen unterscheidet sich die Wertehierarchie in Osteuropa (nicht aber in Ostdeutschland) erkennbar von diesen Befunden. Hier spielen tradition und conformity, vor allem aber security, die als eine Art Leitwert der osteuropäischen Gesellschaften erscheint, eine weitaus größere Rolle.

Die Frage, ob dieser Befund auf Sozialisationseffekte im Kommunismus oder eher auf die Instabilität nach der Wende und die anhaltenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme in Osteuropa zurückgeht, läßt sich auf der Basis des ESS nicht abschließend beantworten. Logistische Regressionsanalysen zeigen jedoch, daß in Osteuropa kaum bzw. keine regionsspezifischen Bildungs- und Kohorteneffekte auftreten. Vielmehr ist es in allen vier Regionen so, daß jüngere Menschen, Hochgebildete und Männer generell weniger dazu tendieren, dem Wert security oberste Priorität einzuräumen. Zugleich bleiben die Unterschiede zwischen West- und Osteuropa auch unter Kontrolle dieser Individualvariablen in voller Stärke erhalten. Dies spricht bei aller gebotenen Vorsicht dafür, daß die aktuelle Lage in einer Region bzw. in einem Land einen wichtigen Einfluß auf die Bewertung von security hat. Eine länderspezifische Analyse der Daten bestätigt diesen Eindruck. Hier zeigt sich nämlich, daß in den mediterranen Demokratien und hier vor allem in Griechenland security eine ähnlich große Rolle spielt wie in Ungarn, Polen oder der Slowakei. Umgekehrt spielt der Wert in den wirtschaftlich und politisch relativ erfolgreichen Ländern Osteuropas wie Estland, der Tschechischen Republik oder Slowenien eine deutlich geringere Rolle als in anderen Staaten der Region. Auffällig schließlich ist die relative Abwertung von security in den skandinavischen Wohlfahrsstaaten Dänemark, Norwegen und Schweden, wo aus Sicht vieler Bürger ein ausreichendes, wenn nicht sogar übermäßiges Maß an Sicherheit erreicht zu sein scheint.

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Tabellen

Wert

Item

Abkürzung
self-direction

Thinking up new ideas and being creative is important to him. He likes to do things in his own original way (ipcrtiv).

SD-1

It is important to him to make his own decisions about what he does. He likes to be free to plan and not depend on others (impfree).

SD-2
universalism

He thinks it is important that every person in the world be treated equally. He believes everyone should have equal opportunities in life (ipeqopt).

UN-1

It is important to him to listen to people who are different from him. Even when he disagrees with them, he still wants to understand them (ipudrst).

UN-2

He strongly believes that people should care for nature. Looking after the environment is important to him (impenv).

UN-3
benevolence

It is very important to him to help the people around him. He wants to care for their well-being (iphlppl).

BE-1

It is important to him to be loyal to his friends. He wants to devote himself to people close to him (iplylfr).

BE-2
tradition

It is important to him to be humble and modest. He tries not to draw attention to himself (ipmodst).

TR-1

Tradition is important to him. He tries to follow the customs handed down by his religion or his family (imptrad).

TR-2
conformity

He believes that people should do what they’re told. He thinks people should follow rules at all times, even when no one is watching (ipfrule).

CO-1

It is important to him always to behave properly. He wants to avoid doing anything people would say is wrong (ipbhprp).

CO-2
security

It is important to him to live in secure surroundings. He avoids anything that might endanger his safety (impsafe).

SEC-1

It is important to him that the government insures his safety against all threats. He wants the state to be strong so it can defend its citizens (ipstrgv).

SEC-2
power

It is important to him to be rich. He wants to have a lot of money and expensive things (imprich).

PO-1

It is important to him to get respect from others. He wants people to do what he says (iprspot).

PO-2
Achievement

It is important to him to show his abilities. He wants people to admire what he does (ipshabt).

AC-1

Being very successful is important to him. He hopes people will recognize his achievements (ipsuces). AC-2

hedonism

Having a good time is important to him. He likes to „spoil“ himself (ipgdtim).

HE-1

He seeks every chance he can to have fun. It is important to him to do things that give him pleasure (impfun).

HE-2
stimulation

He likes surprises and is always looking for new things to do. He thinks it is important to do lots of different things in life (impdiff).

ST-1

He looks for adventures and likes to take risks. He wants to have an exciting life (ipadvnt).

ST-2
Tabelle 1: Die ESS-Version des Portrait Values Questionnaire
POindexSTindexACindexHEindexCOindex






Westeuropa-0.92-0.63-0.49-0.13-0.15
D-West -0.90-0.79-0.41-0.09-0.36
D-Ost -0.99-0.92-0.40-0.10-0.25
Osteuropa -0.69-0.75-0.35-0.480.05
Gesamt -0.86-0.68-0.44-0.22-0.11
TRindexSECindexSDindexUNindexBEindex






Westeuropa-0.020.290.410.610.72
D-West -0.060.300.570.630.79
D-Ost -0.030.460.500.600.83
Osteuropa 0.110.620.250.500.48
Gesamt 0.010.380.380.580.66
Tabelle 2: Werteprioritäten im ESS
(1)
(2)
(3)




prioSEC
Westdeutschland -0.073 -0.006 -0.070
(0.135) (0.136) (0.139)
Ostdeutschland 0.185 0.277 -0.172
(0.135) (0.137) (0.139)
Osteuropa 0.800 0.844 0.397
(0.154) (0.154) (0.190)
GJ<1970 0.433 0.405
(0.049) (0.072)
formale Bildung -0.151 -0.189
(0.023) (0.025)
männlich -0.074 -0.069
(0.023) (0.023)
Westdeutschland X GJ<1970 0.239
(0.072)
Ostdeutschland X GJ<1970 0.340
(0.072)
Osteuropa X GJ<1970 0.024
(0.095)
Westdeutschland X formale Bildung-0.028
(0.025)
Ostdeutschland X formale Bildung 0.064
(0.025)
Osteuropa X formale Bildung 0.148
(0.037)
Konstante -0.499 -0.348 -0.225
(0.135) (0.138) (0.140)




N  150176 144943 144943
Pseudo R2(McFadden Adj.) 0.023 0.040 0.041
Pseudo R2(McKelvey & Zavoina) 0.037 0.067 0.070
BIC’ -4684.920 -7875.694 -8165.479

Robuste Standardfehler mit Ländern (Ost-und Westdeutschland getrennt) als Cluster in Klammern

Tabelle 3: Sicherheit als oberster Wert

 

1In der ersten Welle des European Social Survey war darüberhinaus ein Modul zu „citizenship and work values“ enthalten. Einige dieser Items könnten im Sinne politischer Leitwerte interpretiert werden (zusammenfassend zur amerikanischen Diskussion über „core political values“: Schwartz et al.,2010). Diese Items wurden jedoch in späteren Wellen nicht repliziert.

2Einen rudimentären Vergleich beider Instrumente hat Schwartz jedoch selbst vorgelegt (Schwartz,2003, 272)

3Die weitaus differenziertere Langfassung des Instrumentes spielt aus ökonomischen Gründen in der Forschungspraxis so gut wie keine Rolle.

4Anders als stärker soziologisch geprägte Autoren unterscheidet Schwartz nicht konsequent zwischen Werten (kulturellen Objekten) und Wertorientierungen (individuellen Einstellungen zu diesen Objekten). Auch der Begriff der Motivation wird weitgehend mit Werten gleichgesetzt.

5Konformität und Tradition sind empirisch nur schwer voneinander zu separieren und werden deshalb demselben Segment des Rades zugeordnet.

6Solche ring- oder radförmigen Strukturen werden als Circumplex bezeichnet. Es handelt sich bei ihnen um eine Spezialform des Radex (Guttman,1954), einer Struktur, die sich recht häufig bei der Analyse psychometrischer Daten zeigt und die auch theoretisch oft gut begründbar ist.

7Im folgenden werden statt der deutschen Übersetzungen die englischen Originalbegriffe verwendet.

8Universalism wird mit drei Items gemessen.

9In der Praxis wird entsprechend der Empfehlungen des ESS-Teams zumeist einfach der Mittelwert der zwei bzw. drei Items als robuste Annäherung an den Faktor-Score errechnet.

10Auch wenn alle drei Äquivalenzbedingung erfüllt sind, können sich die Messungen nach wie vor bezüglich der Varianz des Meßfehlers ϵ unterscheiden.

11Auch die beiden anderen Äquivalenzbedingung sind nur dann erfüllt, wenn einzelne Werte bzw. Wertorientierungen zusammengefaßt werden.

12Vgl. dazu aber den Ansatz von Helmut Klages (u. a.1988), der diese sekundären Unterscheidung zwischen „Realisten“ und „Resignierten“ als eine weitere Dimension des Wertewandels („Wertsynthese“) betrachtet.

13Wäre die Bedingung der skalaren Invarianz erfüllt, so gingen diese wertespezifischen Unterschiede allein auf reale Mittelwerteunterschiede in den latenten Variablen zurück. Ist die Äquivalenzbedingung hingegen wie im ESS nicht erfüllt, so ist es nicht möglich, zwischen realen Mittelwerteunterschieden in den latenten Variablen und kulturspezifischen Merkmalen der Indikatoren zu unterscheiden.

14Diese Betrachtungsweise setzt allerdings eine befragteninterne Form der Äquivalenz voraus, d. h. es wird implizit davon ausgegangen, daß beispielsweise identische Skalenwerte für die Porträts SD-1 und UN-3 aus Sicht des Befragten einen identischen Grad der Ähnlichkeit ausdrücken. Da die Antwortvorgaben für alle 21 Porträts exakt gleich formuliert sind und die Abfrage unmittelbar hintereinander erfolgt, ist diese Annahme zumindest plausibel.

15Denkbar wäre dann außerdem – erfolgreiche Schulreformen und einen weitgehenden Austausch des Lehrpersonals vorausgesetzt – daß sich der Effekt der hohen formalen Bildung bei den jüngsten Generationen wiederum an das westliche Muster angleicht. Empirische Befunde für Ostdeutschland, die auf ein solches Muster hindeuten, diskutieren Arzheimer und Klein (2000).

16Kohorten, Perioden und Alterseffekte sind in der Forschungspraxis in aller Regel nur schwer und mit den Daten des ESS überhaupt nicht voneinander zu separieren. An dieser Stelle kann und soll es deshalb nur um eine analytische Unterscheidung gehen.

17In Anlehnung an den oben skizzierten prototypischen Lebenslauf werden diese Effekte manchmal auch als Lebenszykluseffekte bezeichnet.

18Unten in Abschnitt 3.4 wird als Kriterium für einen verwertbaren Fall ein Wert von mehr als 60 Prozent (13 Items und mehr) beantwortete Items der Skala festgelegt. Diese Schwelle wird in Westeuropa von 95, in Osteuropa von 97, in Westdeutschland von 98 und in Ostdeutschland sogar von 99 Prozent der Befragten erreicht.

19Für die MDS wurden die Korrelationen r auf das Intervall [0;1] normiert und dann in Distanzen d transformiert: d = 1 (r∕2 + 12).

20Eine MDS reproduziert die Distanzen zwischen den Punkten. Bezüglich aller Transformationen, die diese Distanzen unberührt lassen – Rotationen, Spiegelungen und Verschiebungen – ist das Verfahren agnostisch.

21Mit acht Prozent erklärter Varianz etwas deutlichere Unterschiede zeigen sich zwischen einzelnen Ländern.

22Die Anordnung der Tabellen in der Spalte entspricht der Rangfolge der Grundwerte im Gesamtdatensatz.

23Conformity und hedonism tauschen gegenüber der Gesamtreihung ihre Positionen. Die Unterschiede zwischen den Mittelwerten sind aber minimal.

24In dieser Zählung werden auch solche Befragte eingeschlossen, die security gemeinsam mit einem oder mehreren anderen Werten an oberste Stelle setzen.

25Im ESS wurde versucht, die Vielzahl der europäischen Bildungsabschlüsse in äquivalenter Weise zu kodieren. Die resultierende siebenstufige Skala wird hier als metrisch betrachtet.

26Wie oben dargelegt, sind Kohorten- und Alterseffekte auf der Basis von Querschnittsuntersuchungen nicht zu unterscheiden.

27Arzheimer und Klein finden entsprechende Hinweise für Deutschland in den 1990er Jahren nur unter den jungen Hochgebildeten. Da sich das Muster einer Annäherung durch die Generationenfolge hier nur in Ostdeutschland, aber nicht in Osteuropa zeigt, wurde darauf verzichtet, das Modell in einem weiteren Analyseschritt um regions und kohortenspezifische Bildungseffekte zu ergänzen.

28Die entsprechenden Pseudo-R2-Werte liegen bei 0.05/0.09, das BIC’ bei -10975. Erweitert man dieses Modell um die in Modell 2 enthaltenen Individualvariablen (ohne Interaktionen), wird ein nochmals deutlich besserer Fit (Pseudo-R20.07/0.12, BIC’=-13455) erreicht.

29Mit vier Meßpunkten in acht Jahren ist die Zeitreihe des ESS zu kurz, um sinnvolle Aussagen über Entwicklungen innerhalb der Länder oder Europas machen zu können. Weitere Modelle (nicht tabellarisch ausgewiesen) zeigen jedoch, daß es so gut wie keine Zusammenhänge zwischen dem Befragungszeitpunkt und der Bewertung von security gibt.