Stand der deutschen Einheit

Wie steht es um die deutsche Einheit?

Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist die deutsche Einheit immer noch Dauerthema in Sonntagsreden. Nach wie vor bestehen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und politische Differenzen zwischen den beiden Großregionen Ostdeutschland und Westdeutschland.

Seit Mitte der 1990er Jahre untersuche ich diese Unterschiede im Wahlverhalten und in den politischen Einstellungen von Ostdeutschen und Westdeutschen. Den größeren Bezugsrahmen bildet dabei die Transformation der postsozialistischen Gesellschaften in Ost- und Mitteleuropa.

Politische Kultur

Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung beschäftigte sich eine meiner ersten Publikationen überhaupt mit der “friedlichen und der stillen Revolution”, also dem Wertewandel in beiden Teilen Deutschlands. Die sogenannte “Konservierungshypothese“, die damals ernsthaft diskutiert wurde, ging davon aus, daß Wertvorstellungen der 1940er und 1950er Jahre in Ostdeutschland konserviert worden seien.  Empirisch zeigte sich aber bereits mitte der 1990er Jahre, daß dies nicht zutraf. Vielmehr ließen sich die spezifischen Einstellungen der Menschen im Gebiet der früheren DDR am besten als Ergebnis von Sozialisationseffekten und Situationseffekten verstehen.  Dieses Bild hat sich auch in meinen späteren Untersuchungen bestätigt.

Illustration deutsche Einheit: früherer Verlauf der Berliner Mauer
Image by Sarah Lötscher

Zuletzt habe ich mich zu Beginn der 2010er Jahre intensiv mit den Einstellungsunterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen befaßt. In zwei Buchkapiteln zeige ich, daß die Wertorientierungen von Ost- und Westeuropäern sich deutlich voneinander unterscheiden. Dabei nehmen die Menschen in Ostdeutschland eine Mittelposition ein. Markante Ost-West-Unterschiede gibt es auch im Bereich der Sozialpolitik sowie der Vorstellungen über Ziele und Aufgaben des Staates.

Außerdem ist das Niveau fremdenfeindlicher und immigrationskritischer Einstellungen im Osten deutlich höher als im Westen. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass rechtsextremistisch motivierte Straftaten überproportional häufig vorkommen, sondern auch im Wahlverhalten. Auch die Entstehung und Etablierung der Alternative für Deutschland (AfD) wäre ohne die ostdeutschen Länder kaum möglich gewesen.

Wahlverhalten

Lange vor der AfD waren Parteien wie die DVU, die Republikaner und die NPD in den neuen Ländern besonders erfolgreich. Bereits Ende der 1990er Jahre habe ich zusammen mit Markus Klein untersucht, ob die Wahl der Rechtsextremen in Ostdeutschland und die Unterstützung für die damaligen PDS gemeinsame Ursachen haben.  Auch später habe ich mich immer wieder mit Ost-West-Unterschieden im Wahlverhalten beschäftigt, u.a. aus Anlaß der Bundestagswahlen von 1998, 2002, 2009 und 2013.

Sieht so die deutsche Einheit aus? Karte der Hochburgen von AfD und Linkspartei, 2017
Hochburgen von AfD und Linkspartei bei der Bundestagswahl 2017

Dabei zeigten sich stets ausgeprägte Differenzen: In den neuen Ländern ist die Wahlbeteiligung niedriger, die Wechselwahl häufiger, und das Stimmverhalten unterscheidet sich ebenfalls deutlich. Ein wesentlicher Erklärungsfaktor dafür ist der geringere Anteil parteigebundener Wähler im Osten.

Für die Bundestagswahl 2017 habe ich nach über 20 Jahren noch einmal untersucht, wie der innerdeutsche Ost-West-Konflikt mit der Wahl sehr rechter (AfD) und sehr linker (die LINKE) Parteien im Osten zusammenhängt. Dabei zeigt sich, daß das gute Abschneiden der AfD vor allem durch die Immigrationsskepsis der Menschen in den neuen Ländern zu erklären ist. Von einem genuinen “Ost-Bonus” konnte die AfD im Gegensatz zur Linken damals nicht profitieren.

Für die Bundestagswahl 2022 gilt dies nur noch eingeschränkt: Inzwischen ist auch die AfD auf dem besten Weg, eine Ost-Partei zu werden.