Rechtsextreme Orientierungen und Wahlverhalten
von Kai Arzheimer, Harald Schoen und Jürgen W. Falter

home.gif (1011 bytes)zurück zur Homepage

zurück zur Publikationsliste

PDF-Version

1.          Einleitung und Fragestellung

Rund zwanzig Jahre nach den letzten größeren Erfolgen der NPD gelang es 1989 erstmals wieder einer Partei der extremen Rechten, den „Republikanern“ (REP), die Fünfprozenthürde bei einer Landtagswahl[1] zu überspringen, nachdem sie in den 80er Jahren bereits eine Reihe von Achtungserfolgen erzielt hatte. Zwar verfehlten die „Republikaner“ 1990 den Einzug in den Bundestag und blieben bei insgesamt 14 Landtagswahlen, die zu Beginn der 90er Jahre stattfanden, unter der Fünfprozenthürde. Während der 90er Jahre gelang es jedoch sowohl den „Republikanern“ als auch einer zweiten neuen Rechtspartei, der „Deutschen Volksunion“ (DVU), immer wieder, bei einzelnen Landtags- und Europawahlen mehr als fünf Prozent der gültigen Stimmen auf sich zu vereinen. In anderen Fällen wie der Hamburger Bürgerschaftswahl von 1997 scheiterten beide Parteien vermutlich nur deshalb, weil sie getrennt antraten.

Bitte beachten Sie: Es handelt sich bei diesem Text nicht um die endgültige Druckfassung, sondern um ein Manuskript. Bitte zitieren Sie uns deshalb nur nach der gedruckten Fassung!

Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands registrierten politische Beobachter im In- und Ausland diese Wahlerfolge mit großer Beunruhigung. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei von Anfang an die Frage, ob es sich bei den die Wählern der Rechtsparteien tatsächlich um überzeugte Rechtsextremisten handelt oder ob die Wahl der REP und der DVU eher durch eine im Grunde genommen unideologische Unzufriedenheit erklärt werden kann[2].

Beide möglichen Motive der Rechtswahl sind allerdings empirisch und analytisch nicht ohne weiteres voneinander zu trennen, wie sich rasch zeigte. Denn der Protest, den viele Anhänger der Rechtsparteien mit ihrer Wahlentscheidung zum Ausdruck bringen wollten, richtete sich keineswegs gegen beliebige Sachentscheidungen der Regierung, sondern in erster Linie gegen die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wie zahlreiche Umfragen belegen, war der starke Anstieg der Asylbewerberzahlen die wichtigste Quelle für die zu Beginn der 90er Jahre herrschende politische Unzufriedenheit. Gegenüber dem Stand zu Beginn der 80er Jahre hatte sich damals die Zahl derjenigen, die in der Bundesrepublik politisches Asyl suchten, in etwa vervierfacht und erreichte mit mehr als 400.000 Anträgen im Jahr 1992 einen historischen Höchststand[3].

Inwieweit ein solcher Anstieg von den Bürgern als problematisch angesehen wird, hängt nicht nur von objektiven Kennzahlen wie der Bevölkerungsdichte, der Fläche und der wirtschaftlichen Leistungskraft Deutschlands ab. Darüber hinaus spielen politische Grundorientierungen bei der Wahrnehmung von Problemen und legitimen Lösungsmöglichkeiten im Bereich der Asyl- und Ausländerpolitik eine wichtige Rolle. Dabei ist in erster Linie an die Bewertung fremder Völker und Kulturen, der Menschenrechte und der Demokratie durch die Bürger, an ihre Überzeugungen hinsichtlich der politisch-historischen Rolle und Verantwortung Deutschlands sowie an ihre rationalen und irrationalen Ängste vor einer ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedrohung durch Zuwanderer zu denken. Rechtsextreme Orientierungen, Präferenzen für rechte Politikentwürfe und eine allgemeine Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien spielen bei der Unterstützung rechter Flügelparteien somit in komplexer Weise zusammen. Darum ist es weder möglich, das Auf und Ab rechter Parteien in der Wählergunst umstandslos auf entsprechende Schwankungen in den politischen Orientierungen der Bürger zurückzuführen, noch läßt sich die These aufrechterhalten, die Wahl der rechten Flügelparteien sei einzig und allein Ausdruck einer unideologischen, von politischen Orientierungen und Werten unabhängigen Unzufriedenheit.

Ziel dieses Beitrages ist es deshalb, die komplexen Zusammenhänge zwischen rechtsextremen Orientierungen und der Wahl rechter Flügelparteien näher zu beleuchten. Dabei gliedert sich unsere Argumentation in zwei Schritte. Zunächst ist zu klären, was überhaupt unter rechtsextremen Orientierungen zu verstehen ist, und wie sich die Verteilung dieser Orientierungen in der Bundesrepublik entwickelt hat (Abschnitt 2). Im Anschluß daran untersuchen wir, wann in der Geschichte der Bundesrepublik rechte Flügelparteien erfolgreich waren, und welche Bedeutung rechtsextreme Orientierungen für die Wahl dieser Parteien jeweils hatten (Abschnitt 3).

2.          Rechtsextreme Orientierungen

2.1.   Was ist unter rechtsextremen Orientierungen zu verstehen?

Unter einer Orientierung oder Einstellung versteht man ganz allgemein die Disposition, auf ein bestimmtes Objekt positiv oder negativ zu reagieren[4]. Das Spektrum möglicher Reaktionen auf ein gegebenes Objekt ist dabei sehr breit. Es reicht von der Meinungsäußerung in den politischen Diskussionen des Alltags über verschiedene Formen konventioneller und unkonventioneller politischer Partizipation bis hin zu illegalen Handlungen. Im Rahmen der vorliegenden Analyse untersuchen wir jedoch ausschließlich die nach wie vor wichtigste Form politischen Handelns, das Wahlverhalten. Noch größer ist die Bandbreite der Objekte, die zum Gegenstand politischer Einstellungen werden können. Hier kommen u.a. politische Programme, Entscheidungen und Ereignisse, Politiker und Parteien, soziale Gruppen, die eigene Nation, aber auch andere Staaten, Völker und Volksgruppen in Betracht. Daraus resultiert eine große Zahl höchst unterschiedlicher politischer Einstellungen.

Um diese kaum überschaubare Vielfalt politischer Orientierungen zu strukturieren, nutzen Wissenschaftler, aber auch Bürger und Politiker in allen europäischen Gesellschaften das Links-Rechts-Schema. Mit den politischen Richtungsbegriffen „links“ und „rechts“ verbinden sich dabei eine wirtschafts- und eine gesellschaftspolitische Unterdimension. Da jedoch wirtschaftspolitische Orientierungen in Deutschland bei der Wahl rechter Flügelparteien nur eine untergeordnete Rolle spielen, können sie an dieser Stelle außer Betracht bleiben. Weitaus wichtiger ist in diesem Zusammenhang die gesellschaftspolitische Einstellungsdimension. Diese bezieht sich im wesentlichen auf die Frage, welchem Personenkreis politische Rechte zukommen soll, welches Ausmaß an sozialer und kultureller Vielfalt toleriert wird und nach welchem Modus politische Entscheidungen getroffen werden sollen[5].

Personen, die nach dieser Definition am äußersten rechten Rand des Meinungsspektrums einzuordnen sind, lehnen im Grunde Pluralismus und Demokratie ab. Statt dessen favorisieren sie autoritäre Entscheidungsmechanismen wie die Übernahme der Staatsleitung durch einen „starken Mann“. Sie wollen politische und sonstige Rechte möglichst auf ihre eigene Gruppe beschränken und zeichnen sich darüber hinaus durch eine geringe Toleranz gegenüber Menschen aus, die sich in irgendeiner Form von ihnen unterscheiden. Charakteristisch für Personen mit rechtsextremen Orientierungen ist somit eine Glorifizierung der eigenen Gruppe, die sich mit der Diffamierung anderer Gruppen verbindet[6].

Je nach dem, ob Eigen- und Fremdgruppe auf der Basis von ethnischer Zugehörigkeit, Rasse, Nationalität, Religion oder Geschlecht definiert werden, bezeichnet man die entsprechenden Einstellungskomplexe als Ethnozentrismus bzw. Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, (religiösen) Fundamentalismus oder Sexismus. Entsprechende Orientierungen lassen sich in allen europäischen Gesellschaften nachweisen[7]. In Deutschland tritt zu diesen Einstellungen häufig noch eine positive Orientierung gegenüber dem sogenannten „Dritten Reich“ hinzu, die sich in Versuchen, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu rechtfertigen oder zumindest zu relativieren, niederschlägt.

Items, die auf die Messung rechtsextremer Orientierungen zielen, gehören zu den Themen, zu denen sich Befragte nur ungern äußern, weil sie um ihre soziale Anerkennung fürchten. Der tatsächliche Anteil von Personen mit rechtsextremen Orientierungen wird daher von der Umfrageforschung tendenziell unterschätzt. Folglich können die in den folgenden Abschnitten präsentierten Befunde keinen exakten Aufschluß über die Verbreitung rechter Überzeugungen geben, sondern lediglich als Mindestwerte interpretiert werden. Da man allerdings davon ausgehen kann, daß diese Effekte der sozialen Erwünschtheit über die Zeit weitgehend konstant bleiben, sollten unsere Daten die Entwicklungstendenzen zuverlässig abbilden.

2.2.   Wie hat sich die Verteilung rechtsextremer Orientierungen in der Bundesrepublik entwickelt?

Eine positive Bewertung des „Dritten Reiches“ zählt zum Traditionsbestand des rechtsextremen Denkens in der Bundesrepublik. Allerdings äußert nur ein verschwindend kleiner Teil der Rechtsextremisten offen seine Zustimmung zu Terrorherrschaft, Vernichtungskrieg und Massenmord. Furcht vor Sanktionen dürfte der wesentliche Grund für diese Zurückhaltung sein. Typisch für die Orientierungen der meisten Rechtsextremisten gegenüber dem Nationalsozialismus sind deshalb zwei Grundhaltungen: Zum einen wird versucht, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu leugnen oder ihr Ausmaß zu relativieren. Zum anderen wird eine (mit den historischen Realitäten des „Dritten Reiches“) unvereinbare Unterscheidung zwischen der Vorkriegs- und der Kriegsphase des Nationalsozialismus vorgenommen. Beide Haltungen werden auf individueller Ebene häufig kombiniert: Bis 1939 habe die nationalsozialistische Herrschaft nur Gutes bewirkt, danach sei es sicher zu Verbrechen gekommen, die aber von interessierter Seite (den früheren Kriegsgegnern, den Israelis und den „Feinden im eigenen Land“) stark übertrieben würden, um Deutschland zu schaden, so der Tenor.

Abb. 1: Unterstützung für das nationalsozialistische Regime

Quellen: Noelle, Elisabeth und Erich Peter Neumann (Hrsg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1965-1967, Allensbach und Bonn 1967, S. 96; Noelle-Neumann, Elisabeth und Renate Köcher (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie Band 10 1993-1997, München 1997, S. 514.

Anhand der vom Institut für Demoskopie (Allensbach) herausgegebenen Jahrbücher läßt sich gut verfolgen, wie sich die Verteilung beider Grundhaltungen in der Bundesrepublik entwickelt hat (vgl. Abbildung 1)[8]. So stimmte unmittelbar nach der Gründung der Bundesrepublik knapp die Hälfte der Befragten der Aussage, Hitler wäre ohne den Krieg einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen, zu (runde Markierung). Bereits in den späten 50er Jahren setzte jedoch eine Neubewertung der nationalsozialistischen Vorkriegszeit ein. Bis 1961 reduzierte sich der Anteil derjenigen, die diese Auffassung über Hitler teilten, auf etwas weniger als 30 Prozent. In den späten 60er und frühen 70er Jahren stieg die Zustimmung nochmals deutlich an, um dann langsam, aber kontinuierlich abzusinken. Ende der 90er Jahre war noch etwa ein Viertel der Befragten der Meinung, Hitler wäre ohne den Krieg einer der größten Deutschen gewesen.[9]

Noch deutlicher zeigt sich der Ansehensverlust der nationalsozialistischen Herrschaft in der Bevölkerung, wenn man eine Frage betrachtet, die direkt auf die Anhänger des „Dritten Reiches“ zielt. Während 1952 noch 42 Prozent der Westdeutschen glaubten, am besten sei es Deutschland in den Jahren 1933 bis 1939 ergangen (quadratische Markierung), sank die Zustimmung hier auf weniger als 5 Prozent im Jahr 1970, als die Frage zum letzten Mal gestellt wurde.

Auch eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen findet im Laufe der Zeit immer weniger Zustimmung in der Bevölkerung: In den 60er und 70er Jahren waren noch etwa 30 Prozent der Befragten der Meinung, das „Dritte Reich" sei kein Unrechtsstaat gewesen (rautenförmige Markierung)[10]. Am Ende der 90er Jahre hat sich dieser Anteil auf rund 10 Prozent der Bevölkerung reduziert. Bemerkenswert ist dabei insbesondere der steile Abfall am Ende der 70er Jahre, der mit einer intensiven Beschäftigung der Medien mit dem Thema des Nationalsozialismus zusammenfällt.

Abb. 2: Unterstützung für demokratische Werte und Normen

Quellen: Noelle, Elisabeth und Erich Peter Neumann (Hrsg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1968-1973, Allensbach und Bonn 1974, S. 222 sowie weitere Studien von Allensbach und Emnid, zitiert nach Conradt, David: Changing German Political Culture, in: Almond, Gabriel A. und Sidney Verba: The Civic Culture Revisited, S. 212-272, hier S. 224 und 252.

Zugleich gewannen demokratische Werte und Normen in der Bundesrepublik an Boden. Waren ein Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik noch 24 Prozent der Bevölkerung mit einer Einparteienherrschaft einverstanden (quadratische Markierung), so sank die Zustimmung für diese Regierungsform binnen eines Jahrzehnts auf 10 Prozent und stagniert seitdem auf niedrigem Niveau. Der Anteil derjenigen, die ein Parlament für notwendig halten, stieg zwischen 1962 und 1972 auf 88 Prozent (dreieckige Markierung). Bemerkenswert ist dabei insbesondere, daß auch solche Personen, die mit der aktuellen Arbeit des Bundestages nicht zufrieden sind, die grundsätzliche Notwendigkeit eines Parlamentes nicht bestreiten.[11] Parallel dazu wuchs die Gruppe der Bürger, die ihre Kinder in erster Linie zu geistig unabhängigen und selbständigen Menschen erziehen wollen, vom Beginn der 50er bis zur Mitte der 70er Jahre von 28 Prozent auf annähernd das Doppelte (runde Markierung).

Abb. 3: Nationalismus und Antisemitismus

Quellen: Noelle, Elisabeth und Erich Peter Neumann (Hrsg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1965-1967, Allensbach und Bonn 1967, S. 96 und S. 154; Noelle-Neumann, Elisabeth (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie Band 7 1976-1977, Wien u.a., S. 56; Noelle-Neumann, Elisabeth und Renate Köcher (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie Band 9 1984-1992, München u.a. S. 385 und S. 394; Noelle-Neumann, Elisabeth und Renate Köcher (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie Band 10 1993-1997, München 1997, S. 484.

Auch nationalistische und antisemitische Orientierungen nehmen im Zeitverlauf ab, wie aus Abbildung 2 hervorgeht. So waren 1952 noch 37 Prozent der Deutschen der Meinung, es sei besser, „keine Juden im Land zu haben“ (rautenförmige Markierung)[12]. Mitte der 60er Jahre war der Anteil derjenigen, die dieser Aussage zustimmten, auf die Hälfte gefallen. Ein ähnliches Muster zeigt sich, wenn man nach dem Nationalstolz der Bevölkerung fragt. Nationalstolz ist zwar per se nichts Negatives, verbindet sich jedoch auch in Deutschland häufig mit einer Abwertung anderer Völker[13]. Im Frageprogramm der Allensbacher Jahrbücher findet sich auch hier ein geeigneter Indikator, nämlich der Anteil derjenigen, die „unbedingt“, d.h. unter allen Umständen stolz darauf sind, Deutsche zu sein. Dies traf 1971 noch für 42 Prozent der Befragten zu (quadratische Markierung). 1996 waren es hingegen nur mehr 25 Prozent. Etwas komplizierter gestalten sich die Verhältnisse, wenn man direkt nach der Überlegenheit der Deutschen gegenüber anderen Völkern fragt. Allensbach hat hier mit der Frage, ob die Deutschen „tüchtiger und begabter als andere Völker“ (dreieckige Markierung) seien, wiederholt ein relativ weiches Item eingesetzt. Die Zustimmung sank dabei von 39 Prozent Mitte der 50er Jahre auf 25 Prozent im Jahre 1967.

1976 zeigt sich allerdings ein deutlicher Anstieg auf 49 Prozent. Dieser Befund könnte als Hinweis auf die zunehmende Relevanz einer vor allem sozio-ökonomisch motivierten Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik interpretiert werden.[14] Während der „alte“ Rechtsextremismus als Melange aus Antisemitismus, antidemokratischem Denken, territorialen Ansprüchen und NS-Nostalgie immer mehr an Boden verloren hat, gewann eine feindliche Haltung gegenüber den Zuwanderern, die von Teilen der Bevölkerung zunehmend als Konkurrenten um Wohnungen, Arbeitsplätze und Sozialleistungen wahrgenommen wurden, an Bedeutung für den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Dies zeigt sich nicht nur in Bevölkerungsumfragen, sondern auch in den Programmen der rechtsextremen Parteien. So rückte die NPD ausländerfeindliche Parolen erst seit Mitte der 70er Jahre in den Mittelpunkt ihrer politischen Forderungen,[15] während Ausländerfeindlichkeit und Wohlfahrtschauvinismus („Das Boot ist voll“) bei den in den 80er Jahren gegründeten Rechtsparteien, d.h. bei der DVU und den „Republikanern“ den eigentlichen Kern ihrer Programmatik ausmachen und der Bezug zum Nationalsozialismus vor allem bei den „Republikanern“ in den Hintergrund tritt.

Der Befund, der sich aus den Allensbacher Daten ergibt, ist eindeutig: Rechtsextreme Orientierungen nehmen, von der möglichen Ausnahme der Ausländerfeindlichkeit abgesehen, in der Bundesrepublik langfristig ab. Allerdings weisen die von uns bisher analysierten Zeitreihen teilweise nur wenige Datenpunkte auf. Um uns zusätzlich gegen voreilige Schlüsse abzusichern, wollen wir deshalb abschließend die Entwicklung eines Summenindikators für politische Einstellungen, nämlich der Selbsteinstufung von Befragten auf dem bekannten Links-Rechts-Kontinuum, zur Validierung unserer Ergebnisse heranziehen. Diese wurde im Rahmen der Eurobarometer-Untersuchungen der Europäischen Kommission seit Mitte der 70er Jahre halbjährlich erhoben, so daß eine dichte Zeitreihe zur Verfügung steht.

Bei der Analyse der Eurobarometer zeichnet sich, wie in Abbildung 4 zu erkennen ist, in der Phase von der Mitte der 70er Jahre bis zum Ende der 90er Jahre eine ähnliche Entwicklung ab wie in den oben vorgestellten Allensbacher Daten. In einer weit gefaßten Variante – als ‚rechts‘ gilt, wer sich auf der zehn-stufigen Links-Rechts-Achse für eine der drei am weitesten rechts gelegenen Positionen entscheidet – ist das rechte Potential in der alten Bundesrepublik von rund einem Viertel auf weniger als 15 Prozent zurückgegangen. Diese Entwicklung verlief in zwei Schüben: zunächst schmolz das rechte Potential an der Wende zu den 80er Jahren beträchtlich, ehe es sich in der folgenden Dekade konsolidierte. Die Wiedervereinigung schien rechten Orientierungen sogar zu einer Renaissance zu verhelfen, doch kehrte sich der angedeutete Anstieg rasch in einen weiteren deutlichen Rückgang des Anteils selbstdeklarierter Rechter um. Eine solche deutliche Entwicklung läßt sich für den harten Kern der Rechten – hierzu zählen Befragte, die sich auf der äußersten rechten Position der Links-Rechts-Achse ansiedeln – nicht erkennen. Vielmehr oszilliert dieser Anteil im gesamten Beobachtungszeitraum um einen Wert von etwa fünf Prozent; falls man überhaupt von einem Trend sprechen will, ist aber auch hier ein tendenzielles Abschmelzen des Reservoirs weit rechts orientierter Bürger zu konstatieren.

Abb. 4: Die Entwicklung des rechten Einstellungspotentials in Deutschland 1976 bis 1998 (in Prozent)

 

 

Quelle: Eigene Berechnung aus den Eurobarometer-Studien 5 bis 51. Als „rechts“ gelten diejenigen Befragten, die sich auf einer zehnstufigen Links-Rechts-Achse einem der drei äußersten rechten Punkte zuordnen, „rechtsaußen“ sind Befragte, die sich für den äußersten Punkt entscheiden. Eingetragen sind dreigliedrige gleitende Mittel.

 

Für die neuen Bundesländer ist zweierlei charakteristisch. Erstens liegt hier der Anteil der bekennenden Rechten systematisch unter dem Wert in den alten Bundesländern. Es scheint also, als sei hier der Nährboden für rechte Politikangebote weniger fruchtbar als in den alten Ländern; möglicherweise wirkt hier aber auch die zumindest offiziell ‚anti-faschistische‘ DDR-Sozialisation nach, die ein Bekenntnis zur politischen Rechten hemmen oder sogar verhindern könnte. Zweitens läßt sich in der ehemaligen DDR auf diesem niedrigeren Niveau für das Jahrzehnt seit der deutschen Wiedervereinigung eine Entwicklung nachzeichnen, die dem westdeutschen Bild sehr ähnlich ist. Auch hier sinkt der Anteil des harten Kerns tendenziell von zwei auf weniger als ein Prozent ab; und der Anteil der Rechten in der weiten Abgrenzung hat sich von anfangs etwa zehn auf nunmehr nur noch fünf Prozent halbiert.

Zusammengenommen sprechen die Befunde zur Selbsteinstufung auf dem Links-Rechts-Kontinuum und die Ergebnisse zu einer Reihe einzelner Fragen, die unzweifelhaft Elemente eines rechtsextremen Gedankengebäudes abbilden, dieselbe Sprache: Rechtsextreme Orientierungen sind in der Bundesrepublik auf dem Rückzug[16]. Und selbst wenn man unterstellt, die Befragten äußerten sich in Interviews nur aus Furcht vor negativen Sanktionen weniger rechtsradikal, so ließe sich auch dann ein positives Fazit ziehen: Offensichtlich erlaubt die politische Kultur der Bundesrepublik zusehends weniger das öffentliche Bekenntnis zu rechtsextremen Aussagen, was auf einen gesellschaftlichen Konsens gegen rechtes Gedankengut hindeutet.

3.          Die Wahl rechter Parteien: Bekenntnis oder „rationaler Protest“?

3.1.   Wie hat sich das Wahlverhalten zugunsten rechter Parteien entwickelt?

In Abbildung 5 haben wir die Wahlerfolge der wichtigsten rechtsextremen Parteien – SRP, NPD, „Republikaner“ und DVU – zusammengestellt[17]. Da insbesondere bei den Landtagswahlen der 90er Jahre häufig zwei oder drei Parteien um die Stimmen des rechten Lagers konkurrierten, haben wir für jede Wahl die Anteile aller rechten Parteien an den gültigen Listenstimmen addiert und weisen nur diesen Summenwert aus. Ansonsten bestünde die Gefahr, den Umfang der rechten Wählerschaft zu unterschätzen. Um angesichts der großen Zahl von Landtagswahlen, die in den letzten fünf Jahrzehnten[18] abgehalten wurden, die Darstellung übersichtlich zu halten, weisen wir außerdem für jedes Wahljahr nur das beste summierte Landtagswahlergebnis der rechten Parteien aus.

Abb. 5: Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien in der Bundesrepublik (Listenstimmen)

 

Quelle: Zusammengestellt aus den amtlichen Endergebnissen

Bei der Betrachtung fällt zunächst ins Auge, daß Landtags- und Europawahlen in gewisser Weise als Nebenwahlen gelten müssen[19]. Seit den 50er Jahren erzielen die rechten Parteien bei diesen Wahlen wesentlich bessere Ergebnisse als bei Bundestagswahlen, die unter ähnlichen Bedingungen im gleichen, im folgenden oder im unmittelbar vorangehenden Jahr stattfinden. Für diesen altbekannten Befund werden häufig zwei (komplementäre) Erklärungen ins Feld geführt. Zum einen seien die Anhänger kleiner Parteien stärker motiviert zur Wahl zu gehen und könnten wegen der meist recht niedrigen Wahlbeteiligung bei Landtags- und Europawahlen einen überproportionalen Einfluß ausüben. Zum anderen seien die Bürger bei diesen Wahlen, die als weniger wichtig gelten, eher bereit, mit ihrer Stimme zu experimentieren und eine nicht-etablierte Partei zu unterstützen[20].

Zweitens zeigt sich, daß, von diesen Niveauunterschieden einmal abgesehen, Bundes-, Landtags- und Europawahlergebnisse der rechten Parteien einem ähnlichen Muster folgen. Obwohl die rechten Parteien in manchen Wahlkreisen und Bundesländern über mehrere Wahlen hinweg besonders erfolgreich waren und teils sogar an regionale Wählertraditionen anknüpfen konnten, die bis ins Kaiserreich zurückgehen, spricht dies spricht dafür, daß ihre Chancen zu einem erheblichen Teil von überregional wirksamen Faktoren beeinflußt werden.

Drittens schließlich ist klar zu erkennen, daß das Auf und Ab rechter Wahlerfolge in der Bundesrepublik einem recht deutlich ausgeprägten Konjunkturzyklus folgt[21]. Eine erste Welle von Wahlerfolgen der rechtsextreme SRP fand mit dem Verbot der Partei im Jahre 1952 ein jähes Ende. Erst bei den Landtagswahlen von 1966, 1967 und 1968 konnte die NPD annähernd vergleichbare Ergebnisse erzielen[22]. Auch diese zweite Welle verebbte jedoch zu Beginn der 70er Jahre rasch, nachdem die NPD bei der Bundestagswahl 1969 immerhin 4,3 Prozent der gültigen Stimmen erreicht hatte. Die dritte Welle rechtsextremer Wahlerfolge schließlich setzte mit den für viel Beobachter überraschenden Achtungserfolgen, die „Republikaner“ und DVU bei den Landtagswahlen von 1986 (Bayern) und 1987 (Bremen) erzielen konnten, ein und fand mit dem Einzug der Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus und ins Europaparlament im Jahr 1989 ihren ersten Höhepunkt. Obwohl die rechten Parteien in den von den Medien ausgerufenen „Superwahljahren“ 1990, 1994 und 1999 zumeist an der Sperrklausel scheiterten, gelang es ihnen in den 90er Jahren immer wieder, in einzelne Landesparlamente einzuziehen – teils auf Grund regionaler Sonderregelungen (Bremen), teils indem sie die Fünfprozenthürde denkbar knapp übersprangen (Brandenburg), teils aber auch durch spektakuläre Erfolge wie in Baden-Württemberg oder in Sachsen-Anhalt, wo die DVU mit 12,9 Prozent das beste Ergebnis für eine rechte Partei in der Geschichte der Bundesrepublik erzielte.

Obwohl die Rechtsparteien nur relativ selten tatsächlich Parlamentsmandate gewinnen konnten[23], muß man zusammenfassend festhalten, daß es den Parteien der extremen Rechten seit fast 15 Jahre gelingt, Stimmenanteile auf sich zu vereinen, die angesichts der historischen Vergleichswerte für die Bundesrepublik als ungewöhnlich hoch gelten müssen, nachdem sie – von zwei relativ kurzen Phasen einmal abgesehen - zuvor rund 35 Jahre lang kaum Resonanz bei den Wählern fanden. Zugleich haben wir im vorangegangen Abschnitt gezeigt, daß der Anteil von Personen mit rechtsextremen Orientierungen seit Gründung der Bundesrepublik fast kontinuierlich zurückgegangen ist. Schon aus der Betrachtung dieser Entwicklungen auf der Aggregatebene ergibt sich, daß rechtsextreme Orientierungen weder notwendigerweise zur Wahl rechter Parteien führen noch die einzige Ursache für ein solches Verhalten darstellen.

3.2.   Welche Rolle spielen rechtsextreme Orientierungen bei der Wahl rechter Parteien?

Abbildung 6 gibt einen Überblick über die wichtigsten in der Literatur benannten Faktoren, die das Wahlverhalten zugunsten rechtsextremer Parteien beeinflussen können. Dabei kann grob zwischen der Nachfrage der Wähler nach rechten Politikentwürfen einerseits und den Angeboten der politischen Akteure andererseits unterschieden werden.

Abb. 6: Faktoren der Wahlentscheidung zugunsten rechtsextremer Parteien

 

 

 

 

 

 


Beispielsweise wirken sich einige auf der politischen Nachfrageseite angesiedelte Grundorientierungen wie z.B. demokratische Überzeugungen, postmaterialistische Wertorientierungen oder enge Bindungen an etablierte Parteien und Organisationen, die einer der etablierten Parteien nahestehen (Kirchen, Gewerkschaften) ausgesprochen negativ auf die Wahlchancen der Rechtsparteien aus[24]. Die Auflösung der traditionellen Milieus und der durch sie vermittelten Parteibindungen gilt deshalb als eine wichtige Voraussetzung für den Aufstieg der neuen Rechtsparteien in den achtziger Jahren.

Auf der „Angebotsseite“ haben medienwirksame Kandidaten wie Franz Schönhuber oder Jörg Haider einen erheblichen Einfluß auf das Stimmverhalten potentieller Rechtswähler. Darüber hinaus sind Rechtsparteien in besonderem Maße abhängig von der Konjunktur „ihrer“ Themen (Ausländer, Wiedervereinigung und von der Position der etablierten Parteien zu diesen Themen, weil sie in der Regel nur über eine sehr schmale programmatische Basis verfügen. Der Niedergang der NPD nach der Bundestagswahl 1969 oder die relative Schwäche der „Republikaner“ zu Beginn der 90er Jahre lassen sich vor diesem Hintergrund durch eine Veränderung der politischen Gelegenheitsstruktur erklären: Im ersten Fall konnte die Union nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung durch ihre klare Ablehnung der Ostverträge die Wähler des rechten Randes zurückgewinnen, im zweiten Fall verloren die beiden zentralen Themen der Republikaner – deutsche Frage und insbesondere Zuwanderung – durch die Wiedervereinigung und den sogenannten Asylkompromiß in den Augen der breiten Öffentlichkeit rasch an Bedeutung.

Um den vorgegebenen Rahmen nicht zu sprengen, lassen wir diese und andere Faktoren, die auf der Angebotsseite des politischen Marktes angesiedelt sind, jedoch unberücksichtigt. Im Zentrum der folgenden Analyse steht vielmehr die Frage, in welcher Weise rechtsextreme Orientierungen einerseits und politische Unzufriedenheit andererseits bei der Wahl rechtsextremer Parteien zusammenwirken. Diese Frage war es auch, die der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Charakterisierung der dritten Welle rechtsextremer Wahlerfolge ihre Lebhaftigkeit und Fruchtbarkeit verlieh. Denn in der Diskussion kamen nicht nur altbekannte Deutungsmuster zu neuen Ehren, vielmehr wurden auch neue Interpretationen entwickelt oder zumindest in Vergessenheit geratene Argumentationslinien wieder entdeckt.

Die Wahlerfolge der Republikaner am Ende der achtziger Jahre fanden sich erstens als Ergebnis rationaler Protestwahlentscheidungen der Bürger charakterisiert[25]. Für die Vertreter der Protestwahlthese beruht der Aufstieg der Republikaner auf der Tatsache, daß sich einige Wähler nicht mehr im Politikangebot der etablierten Parteien wiedergefunden und für die Republikaner votiert hätten, um der ‚eigentlich‘ präferierten Partei einen Denkzettel zu verpassen und sie wieder auf den Pfad programmatischer Tugend zurückzuführen. Folgt man dieser Argumentation, ist der Aufstieg der Republikaner nichts anderes als ein wohlkalkulierter Versuch enttäuschter Wähler, ihre bisher unterstützten Parteien zu domestizieren. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, daß es nicht irgendwelche programmatischen Defizite waren, die den Protest ausgelöst haben sollen; vielmehr handelte es sich beispielsweise mit der Asylproblematik um ein ‚rechtes‘ Thema. Folglich steht die Argumentationslinie, die in der Rechtswahl allein den Ausdruck unideologischen Protests zu erkennen glaubt, auf analytisch schwachen Füßen.

Eine ganze Reihe von Autoren verwendet eine diametral entgegengesetzte Argumentationsfolie[26]. Danach bringen die Wahlerfolge rechtsextremer Parteien nicht vorwiegend politische Kalküle von Bürgern zum Ausdruck, die mit den Leistungen der übrigen Parteien und des politischen Systems unzufrieden sind, sondern spiegeln vor allem rechtsextreme Orientierungen wider[27]. In dieser Sichtweise handelt es sich bei den Wählern rechtsextremer Gruppierungen gewissermaßen um rechtsextreme Gesinnungstäter – und Wahlerfolge rechter Flügelparteien erscheinen als ein sicheres Zeichen für die Verbreitung rechten Gedankenguts in der Gesellschaft.

Gewissermaßen als Synthese aus diesen beiden entgegengesetzten Deutungen – hier rationale Protestwahl, dort Bekenntniswahl - hat sich im Laufe der neunziger Jahre eine dritte Position herausgebildet[28]. Sie unterstellt das Auftreten von Interaktionseffekten zwischen rechtsextremer Gesinnung und Protestmotiven. Demnach führen, je für sich genommen, weder ein rechtsextremes Einstellungssyndrom noch politische Unzufriedenheit zur Rechtswahl. Erst das Zusammentreffen beider Komponenten läßt die Wahrscheinlichkeit für die Rechtswahl merklich anwachsen[29].

Nachdem wir die drei wichtigsten Interpretationsmuster der Wahlentscheidung zugunsten rechter Parteien theoretisch skizziert haben, wollen wir nun klären, inwieweit sie geeignet sind, empirisch Voten zugunsten rechtsextremer Parteien zu erklären.

 

3.2.1 Empirische Evidenz aus den neunziger Jahren

Die Protestwahlthese geht davon aus, daß die Unzufriedenheit mit dem Handeln der politischen Elite und den Leistungen des politischen Systems zur Wahl rechtsextremer Parteien führe, ohne daß einem solchen Votum eine rechtsradikale Gesinnung zugrunde liegen müsse. Die Unzufriedenheit mit den politischen Leistungen lassen sich in mehrere Komponenten aufgliedern. Im vorliegenden Beitrag unterscheiden wir nach der Ursache der Unzufriedenheit zwei Formen. Zum einen kann ein Bürger mit seiner materiellen Situation nicht zufrieden sein, sich als benachteiligt sehen oder zumindest für die Zukunft einen Statusverlust befürchten. Zum anderen kann aber auch das Verhalten der politischen Elite unabhängig von den materiellen Leistungen des politischen Systems Unbehagen hervorrufen. Für diesen Sachverhalt verwenden wir den in der wissenschaftlichen und publizistischen Diskussion weitverbreiteten Begriff „Politikverdrossenheit“, ohne daß wir an dieser Stelle näher auf dessen analytische Mängel eingehen können.

 

Abbildung 7: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 nach dem Gefühl der sozio-ökonomischen Benachteiligung

Quelle: DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, ZA-Nummer 3064.

Wie sich Abbildung 7 entnehmen läßt, spielt das Gefühl der sozio-ökonomischen Benachteiligung[30] für die Bereitschaft zur Rechtswahl durchaus eine Rolle. In beiden Landesteilen nahm 1998 die Neigung, sich an der Wahlurne für eine rechtsextreme Partei zu entscheiden, merklich mit dem Grad der gesellschaftlichen Benachteiligung zu, die jemand empfindet. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der im Schrifttum prominenten These, rechtsextreme Parteien sammelten die Stimmen der Verlierer gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse ein[31]. Jedoch kann – dies belegen die Daten ebenso eindrücklich – keineswegs davon die Rede sein, „Modernisierungsverlierer“ wählten gleichsam naturgesetzgleich rechtsextreme Parteien; vielmehr unterstützt dieses Wählersegment in den neuen Ländern überproportional die PDS, während westlich der Elbe bevorzugt SPD und – mit Abstrichen – die Bündnisgrünen davon profitieren, wie weitergehende, hier nicht ausgewiesene Analysen zeigen.

Abb. 8: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 nach dem Grad der „Politikverdrossenheit“

Quelle: DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, ZA-Nummer 3064.

Die Unzufriedenheit mit dem Handeln der (etablierten) Parteien und Politiker[32] zeigt ebenfalls eine merkliche Wirkung auf die Bereitschaft zur Rechtswahl. Hat ein Befragter den Eindruck, Politiker seien glaubwürdig und nicht käuflich, strebten nicht allein nach Stimmenmaximierung und kümmerten sich um die Belange der einfachen Menschen, so ist ein Votum zugunsten einer Rechtsaußen-Partei beinahe vollkommen ausgeschlossen. Je mehr ein Bürger jedoch das Gefühl hat, Politiker sorgten sich weniger um das Wohl der Bürger, sondern vorwiegend für ihr eigenes Fortkommen, desto empfänglicher wird er für das Werben rechtsextremer Parteien. Indessen ist auch an dieser Stelle vor der Vereinfachung zu warnen, „Politikverdrossenheit“ münde unweigerlich in die Unterstützung von Parteien am rechten Rand. Denn die allermeisten Bürger mit einem solchen Empfinden wählen SPD oder CDU/CSU; in den alten Bundesländern wenden sich solche Wähler auch verstärkt den Bündnisgrünen, in den neuen deutlich überproportional der PDS zu, oder sie bleiben der Wahlurne gänzlich fern.

Im Unterschied zur Protestwahlthese geht die klassische Erklärung für Erfolge rechtsextremer Parteien wie oben skizziert von der Vermutung aus, diese beruhten auf verbreiteten rechten Orientierungen in der Wählerschaft. Einen ersten Überblick über die Wirkung derartiger Einstellungen auf die Bereitschaft, seine Stimme einer Rechtsaußen-Partei zu geben, erlaubt Tabelle 1. Es zeigt sich, daß die Befürworter aller angeführten Aussagen, häufiger als der Durchschnitt der Befragten für eine Rechtsaußen-Partei votieren. Jedoch stehen nicht alle Statements in einem gleichermaßen engen Zusammenhang zur Präferenz für die rechten Flügelparteien. In den alten Bundesländern sind es bevorzugt jene Items, die den Nationalsozialismus und die Diktatur betreffen; abgeschwächt gilt dies noch für jene Aussagen, die auf antisemitische Haltungen abzielen. In den neuen Bundesländern unterscheiden ebenfalls diese beiden Gruppen von Aussagen am besten die Rechtsaußenwähler von den übrigen Befragten – allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Tendenziell prädestinieren hier antisemitische Haltungen stärker für eine Wahlentscheidung einer Partei am rechten Rand des politischen Spektrums als eine positive Haltung gegenüber Diktaturen und ein vorteilhaftes Bild von Hitler und dem Nationalsozialismus.

 

Tabelle 1: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 unter den Befürwortern der einzelnen Aussagen der Rechtsextremismus-Skala (in Prozent)

 

West

Ost

Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.

3

5

Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.

3

7

Gruppen- und Verbandsinteressen sollten sich bedingungslos dem Allgemeinwohl unterordnen.

3

5

Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform.

8

9

Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten.

7

13

Ohne die Judenvernichtung würde Hitler heute als einen großen Staatsmann ansehen.

4

16

Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.

4

7

Ausländer sollten grundsätzlich ihre Ehepartner unter ihren eigenen Landsleuten auswählen.

4

10

Auch heute noch ist der Einfluß der Juden zu groß.

4

17

Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen daher nicht so recht zu uns.

4

17

 

 

 

alle Befragten

2

4

Anmerkung: Eingetragen sind die Anteile für Rechtsaußenparteien unter den Befürwortern der Aussagen; als Befürworter gilt, wer auf einer fünfstufigen Antwortvorgabe eher oder völlige Zustimmung bekundet.

Die Zustimmung zu einzelnen Aussagen steigert die Bereitschaft zur Rechtswahl zum Teil ganz erheblich. Allerdings wäre es problematisch, von der Zustimmung zu einer der angeführten Aussagen auf ein rechtsextremes Weltbild zu schließen und die jeweiligen Befragten als Rechtsextremisten zu bezeichnen. Weitaus zuverlässiger und aufschlußreicher sind die zehn Aussagen in ihrer Gesamtheit, weshalb wir im weiteren mit der Rechtsextremismus-Skala[33] arbeiten werden. Denn selbst dann, wenn man davon ausgeht, daß dieses Instrument nicht alle Facetten eines rechtsextremen Weltbildes erfaßt, spricht vieles dafür, daß Befragte, die allen zehn Aussagen eher oder völlig zustimmen, als rechtsextremistisch einzustufen sind. Aus diesem Grunde sollte auch mit der Zahl der befürworteten Aussagen die Bereitschaft zur Rechtsaußen-Wahl zunehmen.

Erwartungsgemäß wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Befragter für die ‚Republikaner‘, die DVU oder die NPD entscheidet, je mehr Aussagen der Rechtsextremismus-Skala er unterstützt. Dabei fällt zweierlei ins Auge. Erstens tritt der Zusammenhang in beiden Landesteilen mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit auf. Unterschiede treten lediglich hinsichtlich des Niveaus auf, auf dem sich die Bereitschaft zur Rechtswahl bewegt: Bei der Wahl 1998 schnitten die Rechtsparteien in den neuen Ländern besser ab als in den alten Bundesländern, weshalb es nur folgerichtig erscheint, daß unter den Befragten, die mindestens sieben der Rechtsextremismus-Items gutheißen, in Ostdeutschland ein Drittel, im Westen der Republik hingegen ‚nur‘ rund zehn Prozent tatsächlich für eine Partei am rechten Rand des politischen Spektrums stimmten. Zweitens läßt sich die kumulative Wirkung der Skala gut ablesen: Die Wahrscheinlichkeit, daß Befragte, die sich für mindestens sieben der Rechts-Aussagen aussprechen, eine Rechtsaußen-Partei wählen, ist deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit unter den Befürwortern einer einzelnen Aussage.

Aus diesen Befunden folgt einerseits, daß in beiden Landesteilen hinter den Wahlerfolgen rechter Flügelparteien durchaus rechtsextrem eingestellte Bürger stehen. Andererseits spricht der Umstand, daß selbst in der Gruppe derjenigen, die mindestens sieben der teilweise recht drastischen Aussagen der Rechtsextremismus-Skala unterstützen, maximal ein Drittel einer Rechtsaußen-Partei seine Stimme gegeben hat, eindeutig dafür, daß eine rechte Gesinnung nicht unweigerlich zur Wahl als rechtsextrem geltender Parteien führt. Vielmehr stimmt der Löwenanteil der rechtsextrem eingestellten Bürger in der Regel für eine der beiden Volksparteien. Dieser Sachverhalt unterstreicht die wichtige staatspolitische Funktion von CDU/CSU und SPD, nämlich diese Bürger in das politische System mit seinen Institutionen zu integrieren.

 

Abb. 9: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 nach der Zahl der befürworteten Aussagen der Rechtsextremismus-Skala

Quelle: DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, ZA-Nummer 3064.

Die bisherigen Analyseschritte haben gezeigt, dass das Gefühl sozialer Benachteiligung, „Politikverdrossenheit“ sowie rechtsextreme Einstellungen, je für sich genommen, die Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl anwachsen lassen. Zu klären bleibt, inwieweit sich die Erklärungsmuster ergänzen. Theoretisch ist es denkbar, daß sowohl die Unzufriedenheit mit dem politischen System und das Gefühl der Benachteiligung als auch rechte Gesinnungen unabhängig voneinander die Rechtswahl fördern. Zweitens könnte es aber auch sein, daß eine der drei Größen sowohl für das Auftreten der anderen Erklärgrößen als auch für die Rechtswahl verantwortlich ist; beispielsweise könnten ausschließlich rechtsextrem eingestellte Personen überhaupt ein Unbehagen am Funktionieren des politischen Systems empfinden und gleichzeitig bevorzugt für rechtsextreme politische Formationen votieren. Drittens könnte schließlich der Fall eintreten, daß alle drei Größen zwar unabhängig voneinander auftreten, aber nur im Zusammenspiel beider eine die Rechtswahl stark begünstigende Wirkung resultieren könnte; diese Idee steht hinter dem sogenannten Interaktionsmodell. Um zu entscheiden, wie das Zusammenspiel der Einflußgrößen tatsächlich aussieht, analysieren wir zunächst die simultane Wirkung je zweier Einflußfaktoren, ehe wir abschließend alle drei miteinander kombinieren.

Das Zusammenspiel zwischen dem Gefühl, zu den gesellschaftlich Benachteiligten zu gehören, und einer rechtsextremen Gesinnung läßt sich in Abbildung 10 beobachten. Dabei zeigt sich unabhängig von der Ausprägung des Deprivationsgefühls ein deutlicher Anstieg der Neigung zur Rechtswahl mit der Ausprägung eines rechtsextremen Weltbildes. Ausgesprochen hohe Stimmenanteile vermögen REP, NPD und DVU jedoch nur unter denjenigen Befragten zu erzielen, die sowohl eine rechtsextreme Weltsicht besitzen als auch sich zu den Benachteiligten der Gesellschaft zählen: in diesem schmalen Bevölkerungssegment können die rechtsradikalen Parteien immerhin bis zu einem Drittel der Stimmen auf sich vereinigen. Da erst das Zusammentreffen beider Faktoren, Deprivation und Rechtsextremismus, diese Wirkung hervorbringt, erscheint das Vorliegen eines Interaktionseffekts plausibel. Allerdings bedarf diese Feststellung mit Blick auf die neuen Bundesländer einer Relativierung: hier führen rechtsextreme Orientierungen auch bei ökonomischer Saturiertheit zu einer beträchtlichen Unterstützung rechtsradikaler Parteien.

 

Abbildung 10: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 nach ökonomischer Benachteiligung und rechtsextremen Einstellungen

Quelle: DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, ZA-Nummer 3064.

Das Zusammenspiel von „Politikverdrossenheit“ und Rechtsextremismus ähnelt der soeben gelieferten Skizze weitgehend. Betrachtet man bei konstant gehaltener Unzufriedenheit mit dem Verhalten der politischen Elite die Unterstützung für die rechten Flügelparteien in Abhängigkeit von der Ausprägung eines rechtsextremen Gedankengebäudes, findet sich der bekannte Zuwachs des rechten Stimmenanteils; und auch umgekehrt läßt ein Unbehagen am Gebaren des politischen Personals die Bereitschaft zur Rechtswahl zunehmen. Regelrecht dramatische Werte von bis zu zwanzig Prozent werden in den alten Bundesländern erst dann erreicht, wenn ein rechtsextremer Bürger politikverdrossen ist. Das Bild in den neuen Ländern weicht auch hier etwas vom westdeutschen Muster ab, da allein rechtsextreme Haltungen die Rechtswahl bereits nachhaltig begünstigen[34].

 

Abbildung 11: Anteil der Rechtswähler bei der Bundestagswahl 1998 nach „Politikverdrossenheit“ und rechtsextremen Einstellungen

Quelle: DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, ZA-Nummer 3064.

Zum Abschluß wollen wir nun die Wirkung aller drei Faktoren in den alten Bundesländern[35] simultan betrachten. Lassen wir zunächst den Rechtsextremismus außer Betracht, fällt ein Interaktionseffekt zwischen ökonomisch-sozialer Benachteiligung und „Politikverdrossenheit“ ins Auge: wenn beide Merkmale zusammentreffen, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl deutlich zu gegenüber einer Konstellation, in der ein Befragter entweder politikverdrossen ist oder sich benachteiligt fühlt. Beziehen wir in einem weiteren Schritt rechtsextreme Orientierungen ein, so ist zunächst deren zentrale Bedeutung nicht zu übersehen. Denn tritt eine rechtsextreme Weltsicht zu ökonomischer Saturiertheit und Zufriedenheit mit den politischen Akteuren, steigt die Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl beinahe auf das Maß, das wir bei den subjektiv benachteiligten Politikverdrossenen vorgefunden haben. Drittens zeigt Abbildung 12 die ein rechtes Votum stimulierende Wirkung des Zusammentreffens der drei hier untersuchten Größen: Fühlt sich jemand benachteiligt, ist er zugleich politikverdrossen und besitzt er obendrein ein rechtsextremes Weltbild, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß er sich für eine rechte Flügelpartei entscheidet, zwischen 30 und 40 Prozent; indes – und dies ist der beruhigende Teil des Befundes – dieses Wählersegment ist ausgesprochen klein.


Abbildung 12: Zusammenwirken von ökonomischer Benachteiligung, „Politikverdrossenheit“ und rechtsextremen Einstellungen bei der Wahl rechtsextremer Parteien in den alten Bundesländern bei der Bundestagswahl 1998 (Angaben: Anteil der Rechtswähler in der jeweiligen Gruppe)

n=472    n=395    n=47    n=84    n=85     n=15    n=96   n=75 n=20     n=28    n=53     n=9


4.          Zusammenfassung und Ausblick

Gegenstand unserer Analyse war die Frage, welche Rolle rechtsextreme Orientierungen bei der Wahl rechter Parteien spielen. Nach einem kurzen Überblick darüber, was unter rechtsextremen Orientierungen zu verstehen ist, haben wir zunächst die Entwicklung der Verteilung rechter Orientierungen in der Bundesrepublik nachgezeichnet. Dabei zeigte sich analog zum allgemeinen Wandel der politischen Kultur, daß Einstellungen wie Antisemitismus, die Befürwortung autoritärer Herrschaftsformen und die Unterstützung des Nationalsozialismus in den vergangenen fünf Jahrzehnten erheblich an Bedeutung verloren haben. Zugleich erreichen rechtsextreme Parteien in der Bundesrepublik seit Mitte der 80er Jahre ein Ausmaß an elektoraler Unterstützung, das angesichts der historischen Vergleichsdaten als ungewöhnlich hoch gelten muß.

Zur Erklärung dieser Entwicklung wurde in der einschlägigen Forschungsliteratur eine ganze Reihe von Faktoren ins Feld geführt. Bei unserer eigenen Analyse beschränken wir uns jedoch auf zwei Größen, die der politischen Nachfrageseite zuzurechnen sind und in der Diskussion um die Erfolge von „Republikanern“ und DVU eine besondere Prominenz erlangt haben: Rechtsextreme Orientierungen auf der einen und politische Unzufriedenheit auf der anderen Seite. Drei konkurrierende Hypothesen beschreiben die Wirkung dieser Faktoren auf das Wahlverhalten zugunsten rechter Parteien: Während die klassische Erklärung der Rechtswahl stark auf die Bedeutung einer rechtsextremen Gesinnung abhebt, rückt die Protestwahlhypothese die Rolle der politischen Unzufriedenheit in den Vordergrund. Das Interaktionsmodell hingegen geht davon aus, daß die Wahl rechter Parteien am besten durch ein Zusammenspiel beider Faktoren erklärt werden kann und greift damit ältere Überlegungen, wie sie u.a. bereits von Klaus Liepelt entwickelt wurden, wieder auf.

Unsere eigenen Analysen, die sich auf Daten stützen, die im Umfeld der Bundestagswahl 1998 erhoben wurden, sprechen für die Gültigkeit des Interaktionsmodells und bestätigen damit die Ergebnisse, zu denen u.a. Falter[36] zu Beginn des Jahrzehntes gekommen war: Zusammengenommen haben wir in der empirischen Analyse nachgewiesen, daß das Gefühl ökonomischer Benachteiligung, Unzufriedenheit mit dem Verhalten des politischen Personals und das Vorliegen eines rechtsextremen Einstellungsgebäudes unabhängig voneinander die Bereitschaft, für eine Partei am rechten Rand des politischen Spektrums zu votieren, beträchtlich fördert. Zugleich ist deutlich geworden, daß erst das Zusammenspiel dieser Faktoren die Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl auf dramatische Werte anwachsen läßt. Dies spricht eindeutig für das Vorliegen eines Interaktionseffekts. Das Bild in den neuen Bundesländern weicht von dieser Skizze insofern ab, als hier rechtsextremen Orientierungen ein tendenziell größeres Gewicht zukommt.

Da die Wahl rechtextremer Parteien einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren entspringt, kann es keine Patentrezepte gegen Wahlerfolge rechter Gruppierungen geben. Zugleich legt unsere Analyse jedoch eine Reihe von Ansatzpunkten nahe. Betrachtet man die Verteilung politischer Weltbilder in der Bevölkerung zumindest kurzfristig als kaum veränderlich, können vor allem die Akteure auf der politischen Bühne ihren Teil dazu beitragen. Erstens liegt es nahe, wenigstens eine Verschlechterung der materiellen Situation breiter Bevölkerungsschichten zu verhindern. Zweitens sollte das Thema der Zuwanderung, das den rechten Parteien nützt, nicht um kurzfristiger Stimmengewinne willen in populistischer Weise hochgespielt werden. Und drittens empfiehlt es sich, seitens „der Politik“ die Sorgen und Nöte der Bürger ernst zu nehmen. Zumindest dieser letzten Strategie dürften auch die schnellsten Erfolge beschieden sein, da anders als im Falle ökonomischer Entwicklungen und der Thematisierung politischer Streitfragen kaum Faktoren eine Rolle spielen, die sich der Kontrolle der etablierten Parteien entziehen.



[1] Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom 29. Januar 1989.

[2] Siehe etwa Ursula Feist, Rechtsparteien im Vormarsch: Gründe für ihre Wahlerfolge – Strategien zu ihrer Eindämmung, in: Gegenwartskunde 38 (1989), S. 321-330, Franz Urban Pappi, Die Republikaner im Parteiensystem der Bundesrepublik. Protesterscheinung oder politische Alternative?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B21/90 (1990), S. 37-44, Dieter Roth, Sind die Republikaner die fünfte Partei?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B41-42/89 (1989), S. 10-20, Dieter Roth, Die Republikaner. Schneller Aufstieg und tiefer Fall einer Protestpartei am rechten Rand, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B37-38/90 (1990), S. 27-39, hier: S. 38, Dieter Roth/Hartmut Schäfer, Der Erfolg der Rechten. Denkzettel für die etablierten Parteien oder braune Wiedergeburt?, in: Wilhelm Bürklin/Dieter Roth (Hrsg.), Das Superwahljahr. Deutschland vor unkalkulierbaren Regierungsmehrheiten?, Köln, S. 111-131, Klaus Erdmenger, Rep-Wählen als rationaler Protest?, in: Hans-Georg Wehling (Red.), Wahlverhalten, Stuttgart 1991, S. 242-252 und Ursula Feist, Rechtsruck in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, in: Karl Starzacher / Konrad Schacht / Bernd Friedrich / Thomas Leif (Hrsg.), Protestwähler und Wahlverweigerer. Krise der Demokratie?, Köln 1992, S. 69-76.

[3] Siehe etwa Manfred Küchler, Ausländerfeindlichkeit, Wahlkampf und Wählerverhalten, in: Max Kaase / Hans-Dieter Klingemann (Hrsg.), Wahlen und Wähhier. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1994, Opladen 1998, S. 285-314 und John Leslie, Unification and the Changing Fortunes of Germany’s Parties of the Far Right, in: Christopher S. Allen (Hrsg.), Transformation of the German Political Party System, New York und Oxford 1999, S. 99-132.

[4] Vgl. etwa Jarol B. Manheim, The Politics Within, 2. Auflage, New York 1982, S. 8-31.

[5] Vgl. dazu auch Herbert Kitschelt, The Radical Right in Western Europe, Ann Arbor 1995. Siehe zu dieser Interpretation außerdem bereits Hans Dieter Klingemann / Franz Urban Pappi, Politischer Radikalismus, München 1972, S. 42-44. Siehe allgemein zum inhaltlich-politischen Gehalt des Links-Rechts-Schemas Wolfgang Jagodzinski/Steffen M. Kühnel, Bedeutungsinvarianz und Bedeutungswandel der politischen Richtungsbegriffe ‚links‘ und ‚rechts‘, in: Hans Rattinger / Oscar W. Gabriel / Wolfgang Jagodzinski (Hrsg.), Wahlen und politische Einstellungen im vereinigten Deutschland, Frankfurt am Main 1994, S. 317-367 sowie Dieter Fuchs / Hans-Dieter Klingemann, The Left-Right Scheme, in: M. Kent Jennings / Jan van Deth u.a. (Hrsg.), Continuities in Political Action, Berlin 1990, S. 203-234.

[6] Vgl. Peter Rieker, Ethnozentrismus bei jungen Männern, Weinheim u.a. 1997, S. 4.

[7] Siehe etwa Oscar W. Gabriel, Rechtsextremismus, Ethnozentrismus und Antisystemaffekte in Westeuropa, in: Oscar W. Gabriel / Jürgen W. Falter (Hrsg.), Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Frankfurt/Main 1996, S. 71-99, Oscar W. Gabriel, Rechtsextreme Einstellungen in Europa: Struktur, Entwicklung und Verhaltensimplikationen, in: Jürgen W. Falter / Hans-Gerd Jaschke / Jürgen R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S. 344-360 sowie Manfred Küchler, Xenophobie im internationalen Vergleich, in: Jürgen W. Falter / Hans-Gerd Jaschke / Jürgen R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S. 248-262.

[8] Für umfangreiche Recherchearbeiten bei der Zusammenstellung der Allensbacher Datenreihen sowie der weiter unten vorgestellten Wahlergebnisse danken wir Herrn stud. phil. David Costanzo.

[9] Alle hier zitierten Umfrageergebnisse von Allensbach beziehen sich auf die alte Bundesrepublik bzw. die westdeutschen Bundesländer. Für die 90er Jahre liegen auch Zahlen für die neuen Bundesländer vor. Da diese sich jedoch nur um wenige Prozentpunkte von den Ergebnissen aus den alten Ländern unterscheiden, haben wir auf eine gesonderte Ausweisung in den Diagrammen verzichtet.

[10] Die erstaunlich große Unterstützung beruht zum Teil auf einer ungewöhnlich „weichen“ Antwortvorgabe.

[11] Vgl. David Conradt: Changing German Political Culture, in Gabriel A. Almond und Sidney Verba (Hrsg.): The Civic Culture Revisited, Boston und Toronto 1980, S. 212-272, hier S. 224.

[12] Die erstaunlich große Zustimmung erklärt sich zum Teil aus der ungewöhnlich „weichen“ Antwortvorgabe, die das Allensbach-Institut in diesem Fall einsetzte.

[13] Thomas Blank und Peter Schmidt: Verletzte oder verletzende Nation. Empirische Befunde zum Stolz auf Deutschland. In: Journal für Sozialforschung (33) 1993, S. 391-415.

[14] Innerhalb einer Dekade (1961-1971) stieg der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung der alten Länder auf mehr als das Vierfache, nämlich von 1,2 auf 5,6 Prozent. Diese Veränderungen waren hauptsächlich auf die Zuwanderung der sogenannten Gastarbeiter zurückzuführen. Nachdem die Bundesregierung 1973 einen Anwerbestopp für Gastarbeiter beschlossen hatte, wuchs der Ausländeranteil in den 70er Jahren nur noch langsam. Für diese weitere Zunahme war in erster Linie der Nachzug von Frauen und Kindern der in Deutschland beschäftigten Ausländer verantwortlich. Zur Entwicklung der Einstellung gegenüber Gastarbeitern in der Bundesrepublik siehe Manfred Küchler, Deutschland den Deutschen? Migration and Naturalization in the 1994 Campaign and Beyond, in: Russell J. Dalton (Hrsg.), Germans Divided. The 1994 Bundestag Elections and the Evolution of the German Party System, Oxford 1996, S. 235-264.

[15] Horst W. Schmollinger, Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. Opladen 1983, S. 1922-1994, hier S. 1940-1943.

[16] Da beide Arten von Indikatoren in dieselbe Richtung weisen, sind die Zweifel an der Aussagekraft der Links-Rechts-Selbsteinstufung, die etwa Richard Stöss, Forschungs- und Erklärungsansätze – ein Überblick, in: Wolfgang Kowalsky / Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus, Opladen 1994, S. 23-66, hier: S. 30 formuliert hat, entkräftet. Siehe für eine empirische Prüfung der Eignung des Links-Rechts-Kontinuums zur Identifikation politisch extremer Einstellungssysteme Hans Dieter Klingemann / Franz Urban Pappi, Politischer Radikalismus, München 1972, S. 42-44.

[17] Um unsere Darstellung nicht zu überfrachten, verzichten wir auf die Berücksichtigung einer Reihe von Klein- und Kleinstparteien, die vor allem in den frühen 50er Jahren noch eine gewisse politische Bedeutung hatten.

[18] Bei den Landtagswahlen, die vor der Gründung der BRD durchgeführt wurden, nahmen wegen des noch bestehenden Lizenzzwanges keine Parteien der extrem Rechten teil.

[19] Siehe zu diesem Konzept Karlheinz Reif / Hermann Schmitt, Nine Second-Order National Elections – A Conceptual Framework for the Analysis of European Election Results, in: European Journal of Political Research, 8 (1980), S. 3-44, Karlheinz Reif, Nationale Regierungsparteien verlieren die Wahl zum Europäischen Parlament 1984, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 15 (1984), S. 341-352, Hans-Jürgen Hoffmann / Ursula Feist, Die Europawahl 1989 – eine klassische Nebenwahl?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B43 (1989), S. 15-24.

[20] Vgl. etwa Roth/Schäfer (Anm. 2), S. 123.

[21] Siehe Roth / Schäfer (Anm. 2), S. 115-120, Bettina Westle / Oskar Niedermayer, Contemporary right-wing extremism in West Germany. ‚The Republicans‘ and their electorate, in: European Journal of Political Research 22 (1992), S. 83-100, hier: S. 84-86, Jürgen R. Winkler, Die Wählerschaft der rechtsextremen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1993, in: Wolfgang Kowalsky / Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus, Opladen 1994, S. 69-88, hier: S. 70-77.

[22] Siehe hierzu Klaus Liepelt, Anhänger der neuen Rechtspartei. Ein Beitrag zur Diskussion über das Wählerreservoir der NPD, in: Politische Vierteljahresschrift, 7 (1967), S. 237-271 und Vera Gemmecke / Werner Kaltefleiter, Die NPD und die Ursachen ihrer Erfolge, in: Ferdinand A. Hermens (Hrsg.), Jahrbuch Verfassung und Verfassungswirklichkeit, 2 (1967), S. 23-45.

[23] Zudem konnte die Rechte aus diesen wenigen Mandaten bislang keinen Nutzen ziehen, weil ihre Repräsentanten in aller Regel äußerst unprofessionell agierten und von den übrigen Parteien isoliert wurden. Infolgedessen sind die Fraktionen der Rechten bislang zur politischen Bedeutungslosigkeit verdammt und haben meist nach kurzer Zeit mit Zerfallserscheinungen zu kämpfen.

[24] Siehe bereits Gemmecke / Kaltefleiter (Anm. 22), S. 28-29 und Liepelt (Anm. 22), S. 245-255.

[25] Vgl. Pappi (Anm. 2), Roth (Anm. 2), Roth / Schäfer (Anm. 2) sowie Siegfried F. Franke, Ein ökonomisches Modell zur Erklärung der Wahlerfolge rechtsextremer Parteien, in: Jürgen W. Falter / Hans-Gerd Jaschke / Jürgen R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S. 81-94.

[26] Vgl. etwa Richard Stöss, Rechtsextremismus und Wahlen in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B11/93 (1993), S. 50-61, hier: S. 54-60; Richard Stöss, Die Republikaner, 2. überarb. und erw. Auflage, Köln 1990, S. 87-108, Eike Hennig, mit Manfred Kieserling und Rolf Kirchner, Die Republikaner im Schatten Deutschlands, Frankfurt/Main 1991, S. 26-28, Feist (Anm. 2) sowie Feist (Anm. 2)

[27] Siehe für eine analytisch ausgesprochen wertvolle Erklärung für die Entstehung rechtsextremer Einstellungssysteme Erwin K. Scheuch / Hans-Dieter Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Heinz-Dieter Ortlieb / Bruno Molitor (Hrsg.), Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpolitik, 12, Tübingen 1967, S. 11-29.

[28] Theoretisch angelegt findet sich dieses Argumentationsmuster bereits bei Liepelt (Anm. 22), S. 265 und Gemmecke / Kaltefleiter (Anm. 22), S. 29-34.

[29] Vgl. Jürgen W. Falter, Wer wählt rechts?, München 1994, S. 141-147, Markus Klein/Jürgen W. Falter, Die Wähler der Republikaner zwischen sozialer Benachteiligung, rechtem Bekenntnis und rationalem Protest, in: Oscar W. Gabriel / Jürgen W. Falter (Hrsg.), Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Frankfurt/Main 1996, S. 149-173, Markus Klein/Jürgen W. Falter, Die dritte Welle rechtsextremer Wahlerfolge in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jürgen W. Falter / Hans-Gerd Jaschke / Jürgen R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S. 288-312.

[30] Diesen wie auch allen folgenden Analysen liegt der aus dem DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“ (Jürgen W. Falter / Mainz; Oscar W. Gabriel / Stuttgart / Hans Rattinger / Bamberg) hervorgegangene Datensatz zugrunde, der unter der ZA-Nummer 3064 beim Zentralarchiv für empirische Sozialforschung zugänglich ist. Zur Erfassung des Gefühls sozio-ökonomischer Benachteiligung wurde ein Summenindex gebildet, der die Einschätzung der gegenwärtigen individuellen wirtschaftlichen Lage und die Beurteilung der Frage, ob sich der Befragte zu den benachteiligten Segmenten der Gesellschaft zähle, kombiniert.

[31] Vgl. Scheuch / Klingemann (Anm. 27), S. 15-25.

[32] Um diese Dimension zu erfassen, wurde ein Summenindex aus den Beurteilungen der folgenden fünf Aussagen gebildet: „Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“, „Die Parteien betrachten den Staat als Selbstbedienungsladen“, „Die meisten Parteien und Politiker sind korrupt“, „Die meisten Parteipolitiker sind vertrauenswürdige und ehrliche Menschen“ und „Politiker kümmern sich darum, was einfache Leute denken“, wobei die Einschätzungen der letzten beiden Aussagen in gedrehter Form einbezogen wurden.

[33] Vgl. Falter (Anm. 29), S. 136-141. Siehe für ähnliche Versuche Richard Stöss, Rechtsextremismus in Berlin 1990, Berlin 1993, S. 17-26, Richard Stöss, Bestimmungsfaktoren des Rechtsextremismus, in : Hans-Dieter Klingemann, Lutz Erbring, Nils Diederich (Hrsg.), Zwischen Wende und Wiedervereinigung, Opladen 1995, S. 110-116 und Klingemann / Pappi (Anm. 16), S. 52-75.

[34] Allerdings sollten wir diesem Befund wegen der niedrigen Fallzahl keine allzu große Aufmerksamkeit schenken.

[35] Die niedrigen Fallzahlen gestatten für die neuen Bundesländer keine derart fein differenzierende Analyse.

[36] Siehe Falter (Anm. 29).

home.gif (1011 bytes)zurück zur Homepage

zurück zur Publikationsliste

PDF-Version